Massaker in Äthiopien: Wie in einem Völkermord

Menschenrechtskommission wirft Tigray-Milizionären vor, im Ort Mai-Kadra mindestens 600 Menschen bestialisch getötet zu haben.

Eine hochschwangere Frau in einem Flüchtlingslager

Die schwangere Eileen Alfao aus Tigray lebt jetzt in einem Flüchtlings­lager im Sudan Foto: Nariman El-Mofty/dpa

Berlin taz | Tigrayische Milizionäre, unterstützt von Tigrays Sicherheitskräften, sollen das größte bisher bekannte Massaker im Konflikt um die Kontrolle Tigrays zwischen den regionalen Machthabern und Äthiopiens Zentralregierung begangen haben.

Die anerkannte äthiopische Menschenrechtskommission (EHRC) spricht in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht von mindestens 600 Toten als Ergebnis eines „vorsätzlichen und sorgfältig koordinierten“ Angriffs auf die nicht-tigrayische Bevölkerung des Ortes Mai-Kadra am 9. November. Manche Flüchtlinge im Sudan hatten zuvor gegenüber Journalisten die äthiopische Armee beziehungsweise Milizionäre der Nachbarregion Amhara verantwortlich gemacht, die Mai-Kadra am 10. November eingenommen hatten.

Mai-Kadras 40.000 bis 45.000 Einwohner sind nicht nur Tigrayer, sondern auch Amhara-Saisonarbeiter für Agrarbetriebe, die in Wohnheimen am Stadtrand untergebracht sind. Mai-Kadra liegt in einem zwischen Tigray und Amhara umstrittenen Distrikt.

Am 9. November, als Äthiopiens Armee sich Mai-Kadra näherte, richtete die Tigray-Polizei laut EHRC Straßenkontrollen ein, überprüfte die ethnische Zugehörigkeit von Passanten, konfiszierte die SIM-Karten von Nicht-Tigrayern und schickte nicht-tigrayische Frauen und Kinder aus der Stadt weg.

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Von Haus zu Haus

Ab 15 Uhr sei die informelle Tigray-Jugendmiliz „Samri“ ins Wohnviertel der Saisonarbeiter eingerückt, habe zunächst einen Amhara-Exsoldaten getötet, dessen Leiche mitsamt seinem Haus angezündet und sei dann von Haus zu Haus gezogen.

Der Bericht schildert das weitere Vorgehen: „Sie töteten Hunderte von Menschen, indem sie sie mit Knüppeln tot prügelten, mit Messern, Macheten und Beilen ermordeten und mit Stricken erwürgten. Sie plünderten und zerstörten Wohneigentum. Samri, bestehend aus mehreren Gruppen von jeweils 20 bis 30 Jugendlichen in Begleitung von drei bis vier bewaffneten Polizisten und Milizionären, führten das Massaker aus, während die strategisch an Kreuzungen stationierte Polizei und Miliz auf diejenigen schossen, die zu fliehen versuchten.“

Die Zahl von 600 Toten basiert auf Angaben der Bestatter, die nach dem Einrücken von Äthiopiens Armee die Leichen in Massengräbern sammelten. Weitere Tote seien noch zu bergen. Das EHRC-Team sprach zwischen dem 14. und 19. November mit Augenzeugen, Angehörigen der Streitkräfte, Gesundheitspersonal und lokalen Behörden. „Scharfer Leichengeruch hing noch in der Luft“, vermerkt der Bericht.

Die Schilderung stärkt die Position von Äthiopiens Regierung, die ihr Vorrücken in Tigray als unvermeidlich darstellt und die Tigray-Behörden zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert hat. Ein entsprechendes Ultimatum an die Regionalregierung in Tigrays Hauptstadt Mekelle sollte am Mittwochabend auslaufen.

Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed bekräftigte am Morgen laut BBC, die Militäroperation „wird nicht eingestellt, egal wer stirbt“. Regierungsanhänger in Äthiopien bestritten diese BBC-Übersetzung und sagten, Abiy habe „egal welche Opfer das Militär bringt“ gesagt. Ein Sprecher des Tigray-Militärs lehnte eine Kapitulation ab: „Dies ist ein Volkskrieg und jeder Tigrayer wird sich verteidigen. Sogar mit Speeren und Messern.“

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