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Nach Anklage gegen Hashim ThaçiPräsident von Kosovo tritt zurück

Nach der Bestätigung einer Anklage wegen Kriegsverbrechen räumt Hashim Thaçi seinen Posten. Bislang beteuert er seine Unschuld.

Präsident Hashim Thaçi reichte am Donnerstag seinen Rücktritt ein Foto: Visar Kryeziu/ap

Sarajevo taz | Im Präsidentschaftsgebäude in Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, herrschte am Donnerstagmittag helle Aufregung. Präsident Hashim Thaçi reichte seinen Rücktritt ein. Als Grund gab er an, dass das Kosovo-Sondertribunal in Den Haag die Anklage wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen ihn bestätigt habe. „Ich werde nicht als Präsident vor Gericht erscheinen. Um die Integrität des Staates zu schützen, trete ich heute zurück“, erklärte er auf einer Pressekonferenz in Prishtina.

Thaçi wird unter anderem beschuldigt, für fast 100 Morde an Serben, Roma und kosovo-albanischen politischen Gegnern verantwortlich zu sein. Zu den Vorwürfen zählen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Darüber hinaus sollen Thaçi und die Führungsriege der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) während des Kosovokrieges 1998/99 und danach in illegalen Organhandel verwickelt gewesen sein.

Hashim Thaçi war seit 1996 politischer Chef der UÇK, die gegen die serbische Herrschaft und das Apartheitsystem gekämpft hatte. Während des Unabhängigkeitskrieges 1998 bis 1999 war er Oberkommandierender der UÇK. Thaçi führte das Land 2008 in die Unabhängigkeit, bis dahin hatte eine UN-Mission (Unmik) Kosovo verwaltet. Danach regierte Thaçi als Premier bis er 2016 zum Präsidenten gewählt wurde.

Das Sondergericht für das Kosovo ist ein kosovarisches Gericht und nicht zu verwechseln mit dem UN-Tribunal gegen Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Es tagt mit Rücksicht auf Zeugen nur aus Sicherheitsgründen in Den Haag. An diesem 2015 etablierten Gericht sind neben kosovarischen Richtern auch internationale Richter tätig. Am 24. April 2020 veröffentlichte das Gericht die Anklageschrift.

Freispruch wahrscheinlich

Thaçi hat bislang seine Unschuld beteuert. Es gebe keinen Beweis, dass er das Gesetz gebrochen habe, sagte er. Auch sein enger Berater, Ardian Arifai, gibt sich optimistisch. „Im Falle der Vorwürfe über den Organhandel gab es nach den Anschuldigungen des Schweizer Juristen und Berichterstatters für den Europarat, Dick Marty, 2010 intensive Untersuchungen durch internationale Institutionen. Alle konnten keine Beweise für die Anschuldigungen finden“, sagte er am Donnerstag der taz.

Arifai und enge Mitarbeiter Thaçis gehen davon aus, dass er freigesprochen wird. Auch unabhängige politische Beobachter in Prish­tina sehen in dem Gerichtsverfahren einen Versuch, die Legitimation des Befreiungskampfs der UÇK im Nachhinein infrage zu stellen.

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1 Kommentar

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  • Beschämend, dass es so lang dauerte, bis er endlich vor Gericht steht. Unzählige Zeugen sind ums Leben gekommen in dieser Zeit. Wenn mit einem Freispruch zu rechnen ist, dann nur aus diesem Grund. Es ist bezeichnend, dass ein formell kosovarisches Gericht in Den Haag tagt und nicht im Kosovo. Sonst gäbe es sehr bald genau keinen einzigen Zeugen mehr. Das Terrornetzwerk der UCK hat nicht nur davor zurückgeschreckt sowohl Serben, Albaner als auch Roma zu ermorden, sondern hat sich auch gleich nach dem Krieg alle Machtpositionen unter den Nagel gerissen. Bis heute lassen sie selbst ihre eigenen Landsleute finanziell ausbluten und bereichern sich daran. Vom Drogen-, Menschen- und Waffenschmuggel ganz zu schweigen.