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Vereinigt die Staaten!

Unser langjähriger Korrespondent nimmt Abschied von Amerika. Er stellt fest: Europa sieht von ferne betrachtet ganz schön klein aus

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

„Amerika, du hast es besserAls unser Kontinent, das alte, Hast keine verfallenen Schlösser Und keine Basalte. Dich stört nicht im Innern Zu lebendiger Zeit Unnützes Erinnern Und vergeblicher Streit.“

Selten schien mir Goethes Ausspruch so passend wie jetzt, da ich nach vier Jahren in Amerika in die alte Welt zurückkehre. In einen müde erscheinenden, depressiven, ratlosen und zerstrittenen Kontinent (sorry, Spanier, Briten und Ungarn, ihr seid nicht gemeint). Wo der Nationalstaat (denkt Holland – so groß wie New Jersey! – ernsthaft, Indien warte auf seinen Käse) fröhliche Urständ feiert und Franzosen glauben, wenn sie nur genug Wein trinken und vier Tage die Woche blaumachen, werden dem chinesischen Drachen schon die Knie schlottern.

Aber aus Europa komme ich nun einmal. Und dorthin gehe ich wieder. Zeit also für eine aufmunternde Betrachtung des alten Patienten durch die Brille Amerikas.

Entledigen muss man sich dabei allerdings erst einmal des schweren Gewichts der Euroskeptiker, die vor allem im kenntnisreichen Washington mit all seinen Denkfabriken beheimatet sind. Für sie (darunter nicht wenige Herren Demokraten, die es sich zwar anders wünschten, aber doch nüchterne Realisten sind) spielt Europa im geostrategischen Machtgefüge keine wesentliche Rolle mehr. Es ist absorbiert von internem Zwist. Seine Wirtschaft krankt, seine Bevölkerung will sich nicht mehr vermehren – ein Rentnerkontinent mit unbezahlbarem Quasisozialismus, der kraftlos auf der internationalen Bühne agiert.

Europa? Große Küche!

Nein, man muss hinaus in die Prärie, in die Wälder Oregons und zu den Großen Seen. Hier ruft Europa noch Bewunderung hervor, positive Assoziationen und Sehnsüchte. Da wird von Toleranz und Liberalität gesprochen, von großer Küche, romantischen Landschaften und Städten, langer, wechselvoller Historie und dem wichtigsten Alliierten. Manche Amerikaner mit Sinn für Geschichte und Weitblick erinnern einen dann auch schon mal daran, dass der aktuelle Unmut über Frankreich nicht so heiß gekocht werden sollte. Schließlich waren die Gründungsväter von keinem Land so begeistert wie der „Grande Nation“. England hingegen war die verhasste Kolonialmacht.

Hier im Hinterland lernt der Europäer, dass er ein wenig stolz sein kann auf sein kompliziertes Zuhause, dass sich rund die Hälfte der Amerikaner nach einem Leben wie im alten Kontinent sehnen und sich europäischere USA wünschen. Dabei ist man in den Augen der Amerikaner zunächst einmal gar kein Europäer. Sondern Deutscher, Brite oder Pole. Der Satz „Ich bin Europäer“ ruft hierzulande zumeist befremdliches Stirnrunzeln hervor. Wirft man hingegen in das Gespräch „European Style and Design“ ein, Synonym für qualitativ hochwertigen und teuren Schick, dann leuchten die Augen.

Nun ja, immer wieder begegnen einem Amerikaner, die von Europa genervt sind (selbst Liberale werfen ihren Gesinnungsgenossen jenseits des Atlantiks vor, Amerika zu oft und gern für alle Probleme der Welt zum Sündenbock zu machen), doch niemand fürchtet uns. China schon. Und während Europäer sich gerne in Abgrenzung zu den USA definieren (mit keiner anderen Weltregion vergleichen wir uns so intensiv), kennen wenige Amerikaner ernst zu nehmende Rivalitätsgefühle. Vielleicht auch, weil Europa hier längst nicht mehr so wichtig ist, wie es gerne von sich denkt. Eine heilsame Erfahrung, neigen wir doch zu einem eurozentrierten Fokus. Die wichtigen US-Blätter berichten viel ausführlicher über Asien, Lateinamerika und Afrika als die deutschen.

Wohlwollen für die Union

Dass die Europäer ihr Gewicht in der globalisierten Welt stärken oder wenigstens beibehalten wollen, hält ein erheblicher Teil der politischen Elite für wünschenswert – abgesehen von einigen irrlichternden Neokonservativen. Nicht dass der gewöhnliche Amerikaner das europäische Projekt einer politischen und wirtschaftlichen Union näher verfolgen würde, geschweige denn seine Institutionen kennt, aber die Idee Vereinigter Staaten von Europa ist für ihn vielleicht weniger abwegig als für manche Europäer. Verwundert? Auch hier passen so unterschiedliche Bundesstaaten wie Texas, Utah, Vermont und New York mit ihren eigenen Mentalitäten unter eine gemeinsame Verfassung und gilt die weitgehende Souveränität der Bundesstaaten als heiliges Gut. Ob Todesstrafe, Sterbehilfe, Homoehe, Klimaschutz, Marihuana-Anbau, Prostitution, Bierverkauf, Geschwindigkeit auf Highways oder Schulbücher – jeder Staat kann für sich entscheiden. Das Stichwort heißt Freiheit.

Sicher, hier gibt es das alles umfassende, fast schon religiöse Identitätsbekenntnis „I am proud to be American“. In Europa fehlt so eine Klammer bislang. Nur hoffnungslose Utopisten würden einen Satz wie „Ich bin stolz, ein Europäer zu sein“ sagen. Jeder halbwegs Nüchterne wird auf die bekannten scheinbar unüberwindlichen Hürden wie Sprache, Geschichte und Nationalstolz verweisen. Der Weg zu einer wie auch immer gearteten, sofern überhaupt gewollten, gemeinsamen europäischen Identität ist noch weit.

Zudem scheint die Debatte in Europa leider zwischen den absurden Gegensätzen Superstaat oder Freihandelszone gefangen. Amerika ist weder das eine noch das andere, da es das Prinzip der Freiheit zugrunde legt. Dieses bildet jedoch auch das Fundament europäischer Gesellschaften. Von den amerikanischen Ufern aus betrachtet erscheint die Vision Vereinigter Staaten von Europa daher nicht mehr ganz so verwegen.

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