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Queerer Rettungsschirm gefordert„Jetzt muss es um Taten gehen“

Queere Events und Projekte brauchen staatliche Hilfen, um die Corona-Krise zu überleben, sagt Alain Rappsilber, Organisator des Folsom-Festivals.

Was für ein schönes Gedränge, ob man das nochmal erleben wird? CSD-Parade 2019 am Großen Stern Foto: dpa
Jan Feddersen
Interview von Jan Feddersen

taz: Herr Rappsilber, Sie gehörten als Organisator des herbstlichen „Folsom“-Festivals zu den Erstunterzeichnenden einer Petition mit der Forderung an die Bundesregierung, einen „Queeren Regenschirm“ aufzuspannen. Worum geht es?

Alain Rappsilber: Es geht uns allen darum, die queeren Veranstaltungen und die an ihnen hängenden Vereine und Organisationen zu retten. Sie fallen durch alle Hilfsmaßnahmen, bei ihnen geht buchstäblich – mangels Fähigkeit, noch Stromrechnungen in den Büros zu finanzieren – das Licht aus, sie sind bald wirtschaftlich am Ende.

Wen konkret betrifft denn im queeren Spektrum die desaströse ökonomische Situation infolge der Corona-Pandemie?

Alle Projekte, die während der vergangenen Jahre wirtschaftlich unabhängig gearbeitet haben. Sie sind ohne staatliche Unterstützung und Förderung ausgekommen, weil sie sie nicht bekommen hätten, aber auch, weil sie keiner parteipolitischen Richtung folgen wollen. Abgesehen von meinem Verein, dem Folsom Europe e.V., weiß ich, dass der Berliner Leder- und Fetischverein (BLF), der seit Anfang der achtziger Jahre die Oster-Events organisiert hat in Berlin, der Regenbogenfonds der schwulen Wirte im Nollendorfkiez, die Organisatoren des Lesbischen-schwulen Stadtfestes und der CSD Berlin alle dieselben massiven Probleme haben.

Wer zählt zu den stärksten Leidtragenden?

Alle unabhängigen und nicht staatlich geförderten Vereine und Projekte. All ihre Events mussten wegen Corona ausfallen, somit entfielen auch die Werbeflächen für Sponsoren und andere, die Geld gegeben haben. Das wiederum ist bedrohlich, weil ohne Gelder von Sponsoren und durch Werbung Jobs wegfallen – und somit die Arbeit, die wieder anfällt, wenn Corona nicht mehr alles einschränkt, nicht geleistet werden kann.

Der frühere Bürgermeister Klaus Wowereit hat ja für Ihr Festival Folsom mal ein Grußwort geschrieben. Wie steht es denn um die Unterstützung Berlins für die queere Infrastruktur gerade im Hinblick auf die Feste, die auch Heteros so erfreuen?

Wowis Grußwort hat uns sehr geholfen – aber wir ihm auch: Durch Folsom, durch alle anderen queeren Großfeste wird ja auch global für Berlin geworben. Jedenfalls gibt es dem 1. Juli mit den Behörden und den politisch Verantwortlichen sehr, sehr viele Gespräche. Kurzum: viele warme schöne Worte, leider aber nichts Handfestes, das uns aktuell helfen würde – und uns unterstützt, das nächste Jahr sozial und kulturell zu überleben. Alle, die etwas Weitsicht haben, wissen doch: Im nächsten Jahr wird es mit Sicherheit keine Großveranstaltung geben. Also werden wir wieder keine Einnahmen erwirtschaften können.

Im Interview: Alain Rappsilber

47, hat einen Schornsteinfegerbetrieb in Kreuzberg und ist Mitorganisator des Fetisch­festivals Folsom Europe.

Gibt es Gründe, weshalb Events wie das Osterledertreffen, das queere Straßenfest, der CSD oder Folsom keine Rücklagen gebildet haben?

Ja, denn wir sind keine Wirtschaftsunternehmen, die gierig Gewinne machen. Beim Folsom Europe e.V. ist es vom Verein her so in der Satzung verankert, das wir die erwirtschafteten „Gewinne“ in Präventions-Projekte wie Mann-o-meter, in den Sonntags-Club und in viele weitere queere Initiativen geben. So konnten wir in den vergangenen Jahren mehr als 250.000 Euro verteilen. Dieses Geld fehlt in den Projekten und der Prävention jetzt auch schon. Ganz zu schweigen von dem Geld, was die Berlin-Besucher, die ja global immerhin als queere Tourist:innen angeworben wurden, in den Hotels, Bars, Clubs und Shops gelassen haben, und von dem am Ende auch über die Umsatzsteuer ein Gutteil in den Kassen Berlins landet. Das ist bei allen vier Veranstaltungen ein hoher Millionen-Betrag. Ich würde sagen: Nicht nur für uns ist das eine Katastrophe!

Müssen diese Events überhaupt Geld kosten – wäre nicht auch ehrenamtlich viel zu bewirken?

Es kostet leider alles Geld, selbst eine ehrenamtliche Struktur aufrechtzuerhalten, hat Finanzielles zur Voraussetzung. Jeder und jede weiß das. Wir leben in einer Marktwirtschaft, die Vereine haben Kosten für Büromieten, Versicherungen, Telefon, Grafiker, Werbung, Straßenmieten, Verkehrspläne. Die Vorstände der Vereine bekommen keinen einzigen Cent, einige stecken sogar eigenes Geld in die Vereine rein, abgesehen von der Haftung der Vorstände mit ihrem privaten Vermögen. Ehrenamt und dieses Risiko dazu? Ich denke, es wird in Zukunft weniger Menschen geben, die dieses Risiko tragen können und wollen.

Ketzerisch gefragt: Warum sind diese Events für Berlin wichtig? Und überhaupt wichtig? Es ist soviel liberalisiert worden – wozu noch so viel Queeres?

Für viele queere Menschen sind diese Vereine und Veranstaltungen wie Familie. Wenn der Zusammenhalt nicht auch durch große, populäre Events markiert wird, ist das für viele schwer zu ertragen. Die Ausstrahlung und Lebensvielfalt von Berlin ginge verloren. Viele haben mit ihrem Outing alles in ihren Dörfern verloren, sind nach Berlin gekommen und haben hier Anschluss gefunden, sich ein neues Leben aufgebaut. Berlin war auch immer ein queerer Fluchtpunkt – der darf nicht verloren gehen.

Wie breit sollte der queere Schutzschirm Ihrer Ansicht nach sein?

Der würde schon nicht den Berliner Haushalt sprengen, keine Angst. Es geht nicht um Millionen für uns, vielmehr gehen dem Senat Millionen verloren. Es muss endlich der politische Wille da sein, um zu helfen, in unser aller Interesse. Ich würde sagen: Wir brauchen eine halbe Million Euro, dann wäre wieder Luft zum Atmen.

Kommt ein CSD oder Folsom im nächsten Jahr?

Frei und unbeschwert wie früher? Unmöglich. Ich bin immer ein sehr, sehr gut gelaunter Mensch. Im Leben mache ich immer das Beste aus jeder Lebenslage, packe an und mache einfach viel, ohne groß Worte darüber zu verlieren, aber ich sehe zum ersten Mal, dass mein Verein sterben könnte. Ich würde mich freuen, wenn jetzt gehandelt würde: Der Worte sind genug geredet, jetzt muss es um Taten gehen. Monetäres Handeln, das wär’s.

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