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’n Jeschenk, nehm ick mal an

ZOLL Seit das Internet den globalen Versandhandel für breite Bevölkerungsschichten erschlossen hat, herrscht Hochbetrieb beim Zollamt in Berlin-Schöneberg. Drei Stunden dort warten ist äußerst aufschlussreich

VON KLAUS BITTERMANN

Der Zoll schreibt mir, ich solle doch mal vorbeikommen und ein Paket abholen, in das sie gern einen Blick werfen würden. Ich wusste gar nicht, dass es den Zoll noch gibt. Früher bin ich an der DDR-Grenze in Dreilinden immer an ihm vorbeigefahren, da war nie was los beim Zoll. Wenn das meine Mutter gesehen hätte, hätte sie gesagt: „Geh zum Zoll, mein Junge.“

Der Zoll ist jetzt in Schöneberg, ein großes Lagerhaus mit vielen Schaltern, in dem viele Leute wimmeln und wieseln. Im Warteraum warten bestimmt 200 Leute, die alle irgendwas Illegales zollfrei einführen wollen. Es hängen überall Zettel, auf denen steht, dass sich strafbar macht, wer gefälschte Designerware einführt. Auch eine Glasvitrine steht da wie ein Mahnmal, beschlagnahmte Dinge sind ausgestellt, auf denen Lacoste oder Louis Vuitton steht, die in Wirklichkeit aber von Herrn und Frau Ling aus Hongkong sind oder wie immer die Leute heißen.

Warten und glotzen

Ich setze mich und mache, was alle Leute hier tun, warten und glotzen. Eine elegante Frau mit großer dunkler Insektenbrille und ein Mann mit einem schwarzen Borsalino und einem teuer aussehenden Mantel sitzen neben mir. Fast jedenfalls. Sie flüstert leicht hysterisch: „O Gott, die Schuhe sind von Isabel Marant. Weißt du, was die kosten?“ Der Mann mit dem schwarzen Borsalino sagt nichts. „600 Euro. Wenn sie tatsächlich von Isabel Marant wären. Aber wer kann sich das schon leisten. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Ich hab sie aus Hongkong bestellt, o Gott, die sind durch nichts von echten Isabel-Marant-Schuhen zu unterscheiden. Was mach ich bloß, wenn die den Braten riechen?“ Der Mann sagt nichts.

Ein anderer Mann in billiger Allwetterjacke steht auf und geht zum Zolltisch. Er gibt an, dass das, was er vor den Augen des Zolls gerade öffnet, ein Geschenk ist, weil er um die Zollgebühren herumzukommen hofft. „Geschenk, wa“, sagt der Zoll, und schmiert auf jede Silbe so richtig dick Ironie. „Na, dann setzen Se sich mal wieder hin und überlegen mal in aller Ruhe, was das Geschenk so wert ist, wa. Ham hier ja ’n großen Wellnessbereich. Inklusive Sauna. Die ist umsonst, wa. Wenn’s Ihn wieda einjefalln is, komm Se wieder vorbei.“

Dann wird die elegante Frau aufgerufen. „Na, dann schaun wir mal“, sagt der Zoll. Sie muss das Paket öffnen. Der Zoll guckt hinein. „’n paar Schühchen hat sich die Dame da gekooft“, sagt der Zoll, „’n Jeschenk, nehm ick mal an. Und wissense ooch, was die so jekostet ham?“ Die elegante Frau sagt: „80 Euro.“ Der Zoll nimmt die Schuhe aus der Schachtel und beäugt sie misstrauisch. Kein Wunder, denn sie sehen aus wie Schlittschuhe für Elefanten mit drei verschiedenfarbigen Klettverschlüssen und gewaltigen Zungen, wie ich sie nie zuvor bei Schuhen gesehen habe. Der Zoll ist ratlos. Wäre ich auch. Wer kauft sich denn so was, denkt es in ihm. Is ja irre, denkt es in mir. Hoffentlich kennt der Trottel Isabel Marant nicht, denkt es in der eleganten Frau.

Ausgefallener Geruch

„Riecht ’n bisschen streng“, sagt der Zoll. Stimmt, der Geruch dringt sogar in meine Nase. Ob die echte Isabel Marant auch so riecht? „80 Euro? Ausjefallner Jeschmack. Na, ick muss se ja nicht tragen.“ Er wirft noch einen ratlosen Blick auf die Monsterschuhe. „80 Euro. Na jut, will ick ma glooben. Hab heute meine Spendierhosen an“, sagt der Zoll. Die elegante Frau schenkt ihm ein bezauberndes Lächeln und geht zu dem Mann mit dem Borsalino.

„Diese Hinterwäldler wissen nicht, wer Isabel Marant ist. Wie abartig ist das denn? Diese Volltrottel kennen nur das, wo Lacoste oder Louis Vuitton draufsteht. Weißt du, dass ganz Hollywood auf diese Schuhe scharf ist?“ Wusste ich nicht. Ich war mir ja nicht mal sicher, ob das Schuhe sind. Ich glaube, ich wäre ein guter Zollbeamter geworden.

Drei Stunden später muss ich mein Paket öffnen. Es sind fünf Bücher drin. Und sie sind alle gleich. Der Zoll fragt: „Wollnse die alle lesen?“ Ich sage, nicht alle, weil überall das Gleiche drinstünde. „Dacht ick mir doch“, sagt der Zoll. „Könnte es dann vielleicht sein, dass Se ’n kleinen Handel damit betreiben wolln?“ Ich sage, ich hätte die Bücher umsonst gekriegt, weil ich die Übersetzungsrechte an dem Buch gekauft hätte. „Wat denn? Die wolln Se alle übersetzen?“ Ich sage, bei fünf gleichen Büchern wäre das ja wohl ein wenig übertrieben. Eins zu übersetzen würde reichen. Der Zoll pflichtet mir bei. „Sehn Se, und deswegen denke ick mir, dass Se die andern Bücher wieder verkoofen. Und deswegen gehn Se lieber nochma in sich, der Herr, wa. Ham hier ja ’n großen Wellnessbereich …“ Ich winke ab.

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