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Auf der Suche nach Markierungspunkten

Mal ernsthaft, mal quietschbunt: Die Ausstellung „Linking Transformations“ in der Kieler Stadtgalerie bringt norddeutsche und japanische zeitgenössische Kunst zusammen

Ein dünner Stamm mit Zeichenstift an seinem Ende, den Luftzug und Vibrationen übers Papier führen: Rikuo Uedas Windzeichenmaschine Foto: Helmut Kunde, Strande/Stadtgalerie Kiel

Von Frank Keil

Fünf Jahre ist es her, dass die Kieler Künstlerin Constanze Vogt den Gottfried-Brockmann-Preis erhielt, die wohl wichtigste Auszeichnung auf dem Feld der Bildenden Kunst, die das Land Schleswig-Holstein alle zwei Jahre zu vergeben hat. Vogt lebt und arbeitet bis heute in Kiel, und Peter Kruska, Leiter der Brockmann-Jury und seit diesem Jahr Leiter der Kieler Stadtgalerie, fragte sich immer wieder, während er mal aus der Ferne, mal auch aus der Nähe das wachsende Vogt’sche Oeuvre beobachtete: Was macht es eigentlich aus, was hält es zusammen – und wohin wird es führen?

Was ihm immer wieder auf- und einfiel: Oft monochrom, auch meditativ wirkend – sind bei diesen Arbeiten nicht Bezüge zu japanischen Bildtraditionen herzustellen? Oder ist das zu viel des Klischees? Aber man kann ja fragen. Kruska tat’s und erhielt zur Antwort: Doch, sie sehe sich durchaus in japanischen Bilderwelten verortet. Und die Idee war geboren, Vogts Arbeiten mit denen japanischer Gegenwartskünstler und -künstlerinnen zu konfrontieren; flankiert von der Kunst einer weiteren Norddeutschen: Janine Gerber, von der Malerei kommend und an der Berliner Weißensee-Schule ausgebildet, lebt in Lübeck und erhielt 2018 den Possehl-Kunstpreis für dortige Kunst zugesprochen.

Auch Gerber beschäftigt sich mit dem Sujet des Zwischenraums, wenn sie mit langen, eingerissenen Papierbahnen Räume füllt und mit dem einfallenden Licht arbeitet; großflächig farbgetränktes Chinapapier auf Baumwollbahnen aufdruckt wie abzieht und so das Verhältnis von Bedrucktem und Druckstock erforscht – etwa in ihrer Arbeit „Ein Teil sich findend“. Sie meidet alles Illustrative, schnell Deutbare und trifft sich so mit Vogts stringenten Arbeiten, etwa den seriellen Zeichnungen aus stets gleich langen und gleich dicken Strichen der Reihe „o.T. (spira)“ oder den schwebenden Körpern der Reihe „reifen“ aus Fäden und, eben, Holzreifen. Doch auch wenn sie in Serien denkt und arbeitet und bleibt, lässt Vogt hier immer wieder Raum für Momentanes, etwa für ihre wunderbare Arbeit „pausen#11“: ein Koloss von Schwarz, gefaltet aus federleichtem Kohlepapier.

Strategie der Leichtigkeit

Wirken die Arbeiten der beiden Norddeutschen komprimiert und von einer verlässlichen Ernsthaftigkeit getragen, verblüffen die Objekte von Ken’ichiro Taniguchi durch Leichtigkeit, bevor dann eine umsichtige Strategie zu entdecken ist: In seinen leuchtendgelben „City Studies“ visualisiert Taniguchi Stadtaufsichten: Wo Gewässer sind, wo der Fluss die Stadt teilt oder das Meer ihre Ausmaße begrenzt, das zeichnet er wie aus großer Höhe ab, überträgt es auf PVC und zerfaltet dieses Material in einzelne Elemente; schraubt hier und da Scharniere hinzu, sodass sich Städte wie London, Hamburg oder das Metropolengewächs Mannheim-Ludwighafen in übertragener Origami-Manier klappen lassen. Auch Kiel hat er so verarbeitet mit der Förde, dem zentralen Schreventeich, dem im Norden die Stadt begrenzenden Nord-Ostsee-Kanal als Markierungspunkte einer quietschgelben Skulptur.

Der Stadt Buenos Aires wiederum widmet sich Nobuyuki Osakis vielschichtige Rauminstallation. Als Stipendiat absolvierte der Künstler dort im vergangenen Jahr einen Aufenthalt, stieß dabei auf japanische Einwanderer der dritten und vierten Generation. Von ihnen ließ er sich die Familien-Lebensgeschichten erzählen, ihre Foto-Alben zeigen, und nahm beides zum Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit Eingliedern und Bewahren. Besonders beeindruckend: die sich in Wasser auflösenden, gemalten Porträt-Aufnahmen seiner Protagonisten – festgehalten in Filmloops folgen wir dem langsamen Verschwimmen von Farben und Formen, sodass die Bildnisse gleichsam zerstört wie bewahrt werden.

Wieder in Kiel verortet hat sich Aiko Tezuka. Sie arbeitet mit Textilien, auch dem Sujet des Fadens selbst, der sich durch ein Werk und durch die Welt zieht. Im Januar – also vor Corona, wie man heute die Zeitrechnung einteilt – war sie vorbereitend vor Ort. Dabei fiel ihr bald auf, dass Einheimische, nach ihrer Stadt befragt, fast stereotyp antworteten: In Kiel sei ja so viel zerstört worden; so viel kaputtgegangen. Also, damals. Und sei alles wieder aufgebaut worden. Warum das geschah, die Zerstörung, wie es dazu kam. Das war dann schon weit weniger Thema der Erzählungen.

Meditativ schwebender Körper: Constanze Vogt, „reifen#4“ Foto: Frank Keil

Im Stadtarchiv hat Tezuka nach Dokumenten jener Zerstörungen im Stadtbild geschaut und projiziert nun Fotos von zersprengten Fassaden und aufgerissenen Straßen auf eine Patchwork-Leinwand; gefertigt aus Stoffen, die sie nach einem öffentlichen Aufruf an die Menschen in Kiel erhielt: Man möge ihr Gebrauchstextilien schenken, so ihre Bitte, Handtücher, Bett- und Nachtwäsche aus der Zeit um etwa 1930. Nun finden die oftmals über Jahrzehnte in Wäscheschränken verwahrten, akkurat gebügelten Stoffe doch noch den Weg ans Licht, manche in skulpturaler Form wie in Bronze gegossen – und auf einem Sockel.

Erschütterungen der Welt

Nicht nach Kiel geschafft – wegen Corona – hat es Rikuo Ueda, der ebenfalls gerne ortsbezogen arbeitet. Also mussten ihm per Videokonferenz die Baumstämme gezeigt werden, die ein Kieler Baumpfleger nach seinen Vorstellungen ausgesucht hatte, um sich für den einen, den richtigen entscheiden zu können. Denn Ueda entwirft und baut Windzeichenmaschinen: Er hängt dazu etwa lange, dünne Stämme in die Landschaft; Steine dienen als justierende Gewichte. Und dann lassen der Wind, das Wetter oder schlicht die Erschütterungen der Welt einen Zeichenstift etwas auf einem eingespannten Blatt Papier aufzeichnen, berichten, hinterlassen. So eine Maschine hängt nun ohne eine einzige Schraube, ohne einen Nagel oder USB-Anschluss in der Mitte der Stadtgalerie, zeichnet Filigranes nach ganz eigenen Regeln – wenn sie denn Regeln folgt.

Entstanden sind in den vergangenen Jahren so auch Postkarten. Eine Serie davon schickte er an seine Mutter, die im Alter von 100 Jahren verstarb. Die Postkarten, die dieser Tage in Kiel entstehen, gehen an seine Frau, ebenfalls verstorben, vor drei Jahren. Als sie damals im Krankenhaus lag, setzte er sich jeden Tag um 14 Uhr an ihr Bett und machte je eine Zeichnung, eine kleine Arbeit. Diese zu zeigen, das vermochte er bisher nicht. Nun aber sind einige davon in Kiel zu sehen. Das die Ausstellung Durchziehende des Zwischenraums, des Transitorischen, zeigt sich hier in seiner vielleicht konsequentesten wie schmerzhaft-poetischen Weise: Wenn wir dabei sind, wenn das Leben in ein anderes Dasein gewechselt ist, was wir schauen, was davon seinerseits bleibt.

Bis 29. 11., Kiel, Stadtgalerie

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