Bildband „Divided We Stand“: Mit der Kamera durch die USA
Ein Fotografenduo porträtiert im Bildband „Divided We Stand“ 82 Bürger*innen der USA. Es ist die Bestandsaufnahme eines zerrissenen Landes.
Natürlich, man musste es kommen sehen, nicht wenige der Porträtierten präsentieren stolz eine Feuerwaffe. Wenn sich Fotografen aufmachen, dem Individuum ein Gesicht zu geben, das inmitten des Kulturkampfes, der in den USA tobt, verloren zu gehen droht, dann sind ein paar Knarren wohl unvermeidlich.
Aber, und das ist die Qualität von „Divided We Stand“, dieser fotografischen Bestandsaufnahme eines zerrissenen Landes: Es gibt Überraschungen wie Pamela Burke, die Waffenladenbesitzerin aus Pennsylvania.
Pamela Burke hält sich zwar tapfer an einer monströsen Flinte fest, aber hat dann Erhellendes zu erzählen: In der Waffenindustrie freue man sich über jeden Präsidenten der demokratischen Partei, denn sofort hätten die Menschen Angst, die Waffengesetze könnten verschärft werden, kaufen prompt mehr Gewehre und erhöhen den Umsatz.
Es sind Menschen wie Pamela Burke, denen Mathias Braschler und Monika Fischer begegnet sind, als sie für „Divided We Stand“ monatelang mit einem Minibus und ihrer Kamera durch die USA gezogen sind – durch 40 Bundesstaaten und über insgesamt 24.000 Kilometer, immer auf der Suche nach Gesichtern und Geschichten.
Vor neutralem Hintergrund
Fotografiert und interviewt hat das renommierte Schweizer Fotografen-Paar, Gewinner eines World Press Photo Award, obdachlose Drogendealer, arbeitslose Ureinwohner, gottesfürchtige Bergarbeiter, Hollywood-Filmproduzenten, illegale Erntehelfer, die ihre Rechte einfordern, und versehrte Ex-Marines, denen nur ein entleerter Stolz auf ihr Land geblieben ist.
M. Braschler, M. Fischer: „Divided We Stand“, Hartmann Projects, 160 Seiten, 39 Euro
Vor einem immer gleichen, denkbar neutralen weißen Hintergrund sind nun Walmart-Angestellte und Pferdetrainerinnen zu sehen, Landstreicher mit ihrem ganzen Hab und Gut auf dem Rücken und Musiker mit ihren Instrumenten, schwule Architekturstudenten im Superhelden-Kostüm und Rodeo-Reiter in voller Montur, Investmentbanker im dunklen Anzug und Polizeichefs in Uniform, halbnackte Surfer, Klangheilerinnen im Lotussitz und Mechaniker mit ölverschmierten Händen.
Eigentlich ist „Divided We Stand“ eine Wiederaufnahme, die Reprise der allerersten gemeinsamen Arbeit von Mathias Braschler und Monika Fischer. 2003, damals regierte noch George W. Bush, war das seitdem für ihre meist politischen Arbeiten schon mehrfach ausgezeichnete Fotografenpaar, das Guantánamo und Umweltthemen, aber auch Fußballprofis fotografiert hat, schon einmal durch die USA gezogen.
Auch für „About Americans“ hatten Braschler/Fischer schon Farmer, Soldatinnen und Waffenladenbesitzer porträtiert, aber auf ihren Traktoren, in ihrer Kaserne oder in ihrem Laden. Nun, vier Amtszeiten später, verzichten sie auf diese Einordnung und stellen ihre Objekte vor einen weißen, möglichst neutralen Hintergrund – und nivellieren so nicht etwa die Differenzen zwischen den Menschen, sondern arbeiten sie sogar noch einmal deutlicher heraus.
Es ist komplizierter, viel komplizierter
So entsteht aus den insgesamt 66 Fotos mit 82 Porträtierten und den dazu gestellten kurzen, mitunter auch längeren Zitaten ein Mosaik, das die abgrundtiefe Zerrissenheit eines Landes im wahrsten Sinne des Wortes bildlich vor Augen führt. Oder, wie es die Walmart-Angestellte Jamie Pfister formuliert: „Amerika bedeutet für mich alles: Leben, Liebe, Schönheit, Traurigkeit, Hass, Krieg.“
Dieses von Braschler/Fischer entworfene Mosaik zeigt aber vor allem auch: Der tiefe Graben verläuft längst nicht nur zwischen Demokraten und Republikanern, zwischen Trump-Gegnern und -Anhängern, zwischen Stadt und Land, zwischen liberal und konservativ, zwischen roten und blauen Staaten, zwischen einer verunsicherten weißen Mehrheit und den ethnischen Minderheiten.
Natürlich gibt es die Prototypen: Die Schwarze Studentin aus Brooklyn, die „die Vermögensunterschiede, die wiederum zu Rassendiskrimierung führen“, als Problem analysiert, und die beiden Waffenhersteller aus dem tiefen Süden, für die mehr Waffen automatisch mehr Sicherheit bedeuten.
Aber meist ist es komplizierter, viel komplizierter: Der in Ehren ergraute Friseur mit spanischem Namen, der längst in Rente sein sollte, freut sich auf die Mauer an der Grenze zu Mexiko, die die Migranten abhalten soll, die angeblich „kommen, um den Amerikanern die Jobs wegzunehmen“. Der Lehrer aus der Amish-Gemeinde hält Trump zwar für einen „ziemlichen Witz“, aber hat ihn trotzdem gewählt.
Wer sich nicht begegnet, kann nicht sprechen
Der schlanke Mittvierziger mit dem Dreitagebart, der seinen Beruf als „Investor“ angibt und Trump für „einen Idioten“ hält, seine Politik aber als „hervorragend und wirklich gut für die USA“ einschätzt. Oder die drei Feuerwehrmänner aus Indiana, die zwar sagen, dass ihr Job „ein sehr politischer“ ist, aber untereinander lieber nicht über Politik reden.
Explizit sprechen die Teilung der Gesellschaft nur wenige an wie die Youtuberin Doyi Lee, die ihr Leben in der „liberalen Blase“ so beschreibt: „Es ist eine echte Spaltung, wir mischen uns nicht, treffen nicht mehr aufeinander. Wir nehmen uns gegenseitig als fremd wahr und fürchten uns eher voreinander, weil wir uns nicht mehr begegnen.“
Bilder, so heißt es, sagen mehr als tausend Worte. Die Bilder aus „Divided We Stand“ dokumentieren eine Spaltung, die keine Präsidentenwahl allein wird überwinden können. Denn sie zeigen Menschen, die dringend vor allem eins müssten: wieder miteinander ins Gespräch kommen, anstatt ihre Waffen schützend vor sich zu halten.
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