Berliner Kinotipp der Woche: Unternehmer ihrer selbst
Analytisch und poetisch: Der Dokumentarfilm „Olanda“ begleitet rumänische Tagelöhner beim Pilze- und Beerensammeln in den Karpaten.
Es dämmert noch nicht, als sich die Familie ums Feuer versammelt. Ein wenig Wärme tanken, Kaffee schlürfen, ein gemeinsames Gebet. Über holprige Wege fahren sie zu einem Punkt von dem aus sie durch den dichten Wald die Berge der Karpaten hinauf gehen können. Langsam arbeiten sich Ioan und seine Frau in der Dämmerung den Hang hinauf, den Blick auf den Boden gerichtet.
Mit der Zeit wird es heller bis schließlich die Sonne durch die Baumwipfel scheint. Tagsüber schleppen sich die Familien die Berge hinauf und die Körbe mit Pilzen und Beeren herunter. Der Hamburger Dokumentarfilmer Bernd Schoch zeigt in „Olanda“ das Geschäft mit den Pilzen und Beeren, das in Rumänien jährlich Scharen von Tagelöhnern anlockt.
Tag für Tag pendeln die Collectori, die Pilzsammler, zwischen ihren improvisierten Zeltlagern im Tal und den Bergen hin und her und sammeln kiloweise Steinpilze, Pfifferlinge und Blaubeeren für den internationalen Markt. Nachmittags kommen sie an Kreuzungen oder am Straßenrand mit den Ciupercari, den Ankäufern, zusammen, sortieren ihr Tagwerk in Kisten, lassen es wiegen und sehen zu wie der Ankäufer von Geldbündeln ein paar wenige Scheine herunterzählt.
Einige der Scheine wechseln danach gleich wieder zurück, wenn die Sammler:innen von den Ankäufern Lebensmittel, Zigaretten und Bier erwerben. Bevor die Familien sich im Herbst als Erntehelfer verdingen, sind sie für eine kurze Zeit Unternehmer ihrer selbst, konkurrieren mit ihren Zeltnachbarn, um am Ende des Tages wie diese von den Ciupercari, den Aufkäufern, beim Preis geprellt zu werden. Abends stehen die Männer am Lagerfeuer. Streitigkeiten werden geklärt, manch einer verspielt die Einnahmen des Tages gleich wieder.
Die nebelverhangene Bergidylle, die immer wieder in Totalen der Landschaft anklingt, ist Anfangspunkt einer Ausbeutungskette, die sich entlang des Vertriebswegs der Pilze fortsetzt. Die zweite Landschaft des Films ist eine unterirdische, ein Mycel, der unterirdische Teil der Pilze, ist in den ersten Bildern des Films zu sehen. Wie der Pilzkörper als sichtbarer Teil des Pilzes ist das Sammeln in den Wäldern jener Moment in der Verwertungskette der Pilze, in dem diese zur Ware und damit sichtbar werden.
Drei Monate drehten Schoch und sein Team in zwei Tälern entlang der rumänischen Passstraße Transalpina. Die Zeit brauchte es, damit die Sammler:innen den Filmemacher und sein Team kennenlernen konnten und sie als Begleitung akzeptierten. „Die Hauptvorbehalte uns gegenüber waren, dass wir uns im Wald verlaufen oder sie bei der Arbeit aufhalten könnten.“ (Bernd Schoch auf der Duisburger Filmwoche). Wer sieht, in welchem Tempo die Sammler:innen die Berge hochgehen, versteht den Gedanken.
„Olanda“ ist ein gelungener Balanceakt: präzise beobachtet, analytisch in der Montage und zugleich so poetisch, wie es der Film sein kann, ohne die Verhältnisse zu romantisieren. Im Gleichgewicht gehalten wird der Film nicht zuletzt von Schochs Interesse an den Lebensrealitäten der Sammler:innen.
„Die Leute sind keine Spielbälle. Sie stehen erst einmal nur für sich. Wir wollten ihnen als Menschen Raum geben“. Die Kraft von „Olanda“ besteht darin, ein System zu analysieren ohne von den Menschen, die in ihm arbeiten, zu abstrahieren.
Nachdem Bernd Schochs Film letztes Jahr im Forum der Berlinale lief und danach auf diversen Festivals Erfolge feierte, hätte er dieser Tage einen kleinen Kinostart im Verleihprogramm des Arsenals haben sollen. Stattdessen läuft er nun doch nur in Einzelvorführungen, von denen jede einzelne eine Gelegenheit zur Begegnung mit einem der interessantesten Filme des diesjährigen Kinoprogramms ist.
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