Wahlen in den USA: Die Macht der Senatoren
Am 3. November wird in den USA auch ein Teil der Sitze im Senat neu vergeben. Das Ergebnis wird entscheidend für die künftige Regierungspolitik.
N eben der US-Präsidentschaftswahl am 3. November werden auch Senatswahlen abgehalten. Mit demokratischer Mehrheit wäre der Senat ein zentraler Baustein für die Verabschiedung von Reformen unter einem Präsidenten Biden. Wie gut stehen die Chancen darauf und mit welchen Hindernissen im Kongress müssten die Demokraten bei der Verwirklichung ihrer Vorhaben rechnen?
Bei den anstehenden Wahlen werden 35 von 100 Senatssitzen vergeben. Bisher halten die Republikaner eine Mehrheit mit 53 Sitzen; allerdings müssen davon dieses Jahr 23 Mandate verteidigt werden. Gleichzeitig werden alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses, der zweiten Kammer des US-Kongresses, gewählt. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Demokraten dort die Mehrheit, die sie 2018 gewonnen haben, noch ausbauen.
Vieles deutet darauf hin, dass die Demokraten einige Mandate im Senat hinzugewinnen werden – die entscheidende Frage ist, wie viele Sitze. Für eine Mehrheit müssten die Demokraten einen Nettogewinn von 3 oder 4 Senatssitzen erzielen, je nachdem wie die Präsidentschaftswahl ausgeht. Denn bei einem Patt im Senat kann der US-Vizepräsident die entscheidende Stimme abgeben. Von den 23 zu verteidigenden Senatssitzen der Republikaner werden 10 als stark umkämpft eingestuft. Einigen republikanischen Amtsinhabern wird nun ihre Nähe zu Trump zum Verhängnis. Zuletzt stufte die Statistik-Website FiveThirtyEight die Chancen der Demokraten, die Mehrheit im Senat zu gewinnen, mit 73 Prozent ein. Gerade bei engen Wahlen in Staaten wie North Carolina, Maine oder Iowa kann aber noch viel passieren.
Falls die Demokraten die Präsidentschaft und eine Senatsmehrheit gewinnen, wird die Verabschiedung von Maßnahmen zur Linderung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Coronapandemie Priorität haben. Weitere wichtige Projekte sind eine Wahlrechtsreform, Antikorruptionsgesetze, strengere Umweltauflagen sowie eine Verbesserung der Gesundheitsreform von 2009. Viele Maßnahmen sollen gleichzeitig zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. In der Außenpolitik, in der der Präsident weniger Rücksicht auf den Kongress nehmen muss, wird es der Biden-Administration vorerst darum gehen, das Vertrauen der engsten Verbündeten in die USA zurückzugewinnen.
Empfohlener externer Inhalt
ist seit 2016 Programmleiter für Außen- und Sicherheitspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung Washington, DC. Zuvor forschte er zu den EU-Außenbeziehungen, Osteuropa und dem Balkan, und 2012 erschien sein Buch „Die EU und Bosnien-Herzegowina: Außenpolitik auf der Suche nach Kohärenz“.
Bei den innerparteilichen Debatten der Demokraten um die Reichweite der Reformen könnte es zu Auseinandersetzungen zwischen eher konservativen und progressiven Abgeordneten, insbesondere im Repräsentantenhaus, kommen. Denn viele Abgeordnete aus „swing districts“, also Wahlkreisen mit schwankendes Mehrheiten zwischen Republikanern und Demokraten, wollen ihre Wiederwahl in zwei Jahren nicht gefährden, indem sie Maßnahmen zustimmen, die viele Wähler als zu radikal empfinden. Daneben würden im demokratisch dominierten Senat die oppositionellen Republikaner alles daransetzen, Gesetzesvorhaben zu blockieren.
Ein bewährtes Instrument dabei sind Filibuster, durch die oppositionelle Senatoren die Abstimmung über einen Gesetzentwurf verzögern und damit behindern können. Dabei wird die Debatte über das Gesetz verlängert, und Senatoren können so lange sprechen, wie sie es für notwendig halten. Ein Filibuster kann gewöhnlich nur mit 60 Stimmen im Senat beendet werden. In der Praxis genügt es meistens, dass die Oppositionspartei einen Filibuster ankündigt, um ein Gesetzesvorhaben zu blockieren. Damit kann sie zumindest ein Vorhaben verwässern oder eigene Anliegen im Gesetzespaket mit unterbringen. Diese Praxis hat den Senat zunehmend lahmgelegt und ist für ein demokratisches System problematisch. Denn wenn politische Entscheidungen mehrheitlich nur mit 60 Prozent Zustimmung einer Kammer möglich sind (und das auch nur, solange auch das Repräsentantenhaus und der Präsident mitspielen), spielt die Durchsetzung des Wählerwillens nur eine untergeordnete Rolle.
Filibuster können allerdings nicht bei Entscheidungen angewandt werden, für die ein klarer Zeitraum für Senatsdebatten vorgesehen ist, zum Beispiel bei Budgetabstimmungen. Daneben kann der Senat seit einer Verfahrensänderung von 2013, damals unter demokratischer Senatsmehrheit, Bundesrichter (mit Ausnahme von Verfassungsrichtern) und politische Regierungsvertreter faktisch mit einfacher Mehrheit ernennen.
Da eine demokratische Mehrheit mit 60 Stimmen im Senat sehr unwahrscheinlich ist, wäre für die Verabschiedung der meisten Gesetzespakete eine parteiübergreifende Zusammenarbeit, von der Joe Biden so oft spricht, notwendig. Trotz der extremen Polarisierung in den USA hofft Biden noch darauf, dass sich die Republikaner nach einer krachenden Niederlage und einer Abkehr von Trump kompromissoffener zeigen. Dann könnten sich beide Parteien vielleicht auf weniger strittige Vorhaben wie ein Infrastrukturpaket einigen, das seit Langem diskutiert wird. Ambitionierte Projekte der Demokraten blieben aber unwahrscheinlich.
Eine andere Option wäre die Abschaffung des Filibusters, die „nuclear option“, die vor allem von progressiven Stimmen der Demokraten gefordert wird. Kürzlich sprach sich auch Barack Obama für diesen Schritt aus, sollten die Republikaner eine Wahlrechtsreform blockieren. Die Abschaffung des Filibusters wäre zwar mithilfe einer Verfahrensänderung im Senat möglich, ist politisch aber riskant. Noch sind auch viele Demokraten, darunter vor allem Senatoren, skeptisch; nicht zuletzt deshalb, weil sie befürchten, damit ein mächtiges Mittel aus den Händen zu geben für den Fall, dass sie künftig wieder in der Minderheit sind. Sollten sich die Republikaner aber für eine Fundamentalopposition ähnlich wie unter Obama entscheiden, könnten die Demokraten aber doch die „Nuklearoption“ ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod