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Teilchen auf ihrer Umlaufbahn

Grüße von der Milchstraße: Die Ausstellung „Into Space“ im Haus am Waldsee vereint historische und gegenwärtige Positionen von Skulptur, die auf Dynamik und Transparenz setzen. Kunst und Wissenschaft berühren sich

Berta Fischer, Awtokin, 2020, Acrylglas, 305 x 230 x 280 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Barbara Weiss, Berlin Foto: Jens Ziehe

Von Tom Mustroph

Das Haus am Waldsee verwandelt sich gerade in eine Art Raumstation. Wand füllend hängt im ersten Raum ein Foto eines Bühnenbilds, das der Bildhauer Naum Gabo 1927 für die seinerzeit avantgardistische russische Ballett Compagnie von Sergei Djagilew angefertigt hatte. Man erkennt darauf abstrakte geometrische Körper, die durch transparente, teils gebogene, teils gerade Elemente gebildet werden. Und tatsächlich sind in diesen Strukturen bereits Formen zu erkennen, die heute bei Modellen für Stationen auf Mond oder Mars wiederkehren.

Bereits sieben Jahre vorher, 1920, hatte Gabo gemeinsam mit seinem Bruder Antoine Pewsner, seinerseits Maler und Bildhauer, in Moskau das „Realistische Manifest“ herausgegeben und darin gefordert, dass fortan nicht mehr gefüllte Volumina Kennzeichen der Bildhauerei sein mögen, sondern Bewegung, Dynamik und Transparenz.

Nicht gar so viele Berufskollegen folgten dem Brüderpaar, wie die Praxis der Bronze- und Marmorkörper, später dann der aus Beton, Stahl und allen möglichen Plastevarianten bezeugt. Gabo und Pewsner waren aber angesteckt von den wissenschaftlichen Revolutionen ihrer Zeit vor allem auf dem Gebiet der Physik. Sie sahen daher Körper nicht mehr als kompakte Größen aus festen Materialien, sondern als Ansammlung von Teilchen, die auf je eigenen Bahnen und mit je eigenen Geschwindigkeiten im Raum umhersausten und dabei in Kräfteverhältnissen zueinander standen.

Gabos Arbeiten sieht man den Ehrgeiz, diese Kraftverhältnise und Dynamiken auch auszudrücken, sofort an. Seine Säulen aus Aluminium und Perspex – einer frühen Kunststoffalternative zu Plexiglas, die gegenwärtig als Corona-Spuckschutz neuerliche Alltagsberühmtheit feiert – sind schlanke, von allen Seiten einsehbare Kompositionen. In ihnen kommen Spannungen, Bezüge und Abhängigkeiten von Teilchen im Raum zum Ausdruck.

Eine künstlerische Weiterführung dieser Praxis kann man in den Arbeiten der beiden Bildhauer*innen Berta Fischer und Björn Dahlem erkennen. Beide wurden in den 1970er Jahren geboren – in der Dekade, in der Gabo starb. Fischer operiert ihrerseits mit Plexiglas. Sie schneidet die Scheiben in Elemente, die wegen ihrer geschwungenen Form, den Ein-. und Ausbuchtungen an Puzzleteile erinnen. Sie erhitzt sie dann auf ca. 200 Grad und biegt sie schließlich. Die so ­entstandenen Körper fügt sie zu neuen Kompositionen zusammen.

Der Größenmaßstab, den man im Kopf anlegt, bestimmt hier, was man sieht

Die Skulptur „Awtokin“ durchzieht den Ausstellungsraum, dessen Fenster auf den See gehen, zwei, drei Meter weit in mehreren Richtungen. Man mag darin eine hoch oben schwebende Wolke erkennen. Es kann sich aber auch um eine Formation fliegender Objekte handeln, einen Vogelschwarm, ein Geschwader von Raumschiffen. Oder es kann der mikroskopische Blick in feste Stoffe, die sich unter dem optisch verstärkten Auge eben auch in Konstellationen von Teilchen auflöst, gemeint sein. Der Größenmaßstab, den man im Kopf anlegt, bestimmt hier, was man sieht.

100.000 Galaxien

Um ähnliche Erfahrungen geht es in der zweiten Hälfte des größten Raums des Ausstellungshauses. Björn Dahlem hat hier aus zahlreichen fünf-, sechs- und siebeneckigen hölzernen Elementen ein Gebilde erbaut, das in Form und Struktur an Seifenschaum erinnert. Er nennt die Rauminstallation „Laniakea“. So heißt ein Haufen von etwa 100.000 Galaxien, zu denen auch die Milchstraße mit unserem Sonnensystem gehört. Der Superhaufen wurde erstmals 2014 von einem US-amerikanischen Forscherteam beschrieben. Und wie Künstler in den 1920er Jahren von Atommodellen und Raum-Zeit-Modellen der Relativitätstheorie angesteckt waren, so sucht Dahlem jetzt nach Visualisierungen der aus Beobachtungsdaten errechneten astrophysikalischen Theorie.

Paradoxerweise geht Dahlem dabei streng analog vor. „Die Polyeder algorithmisch zu errechnen, würde viel länger dauern, als sie einfach manuell zu bauen. Bei der artifiziellen Produktion würden sich einzelne Elemente auch zu sehr ähneln“, erzählte er während des Ausstellungsaufbaus. Den hölzernen Seifenschaum, in dem irgendwo ganz winzig auch die Erde stecken müsste, platziert Dahlem im Zentrum eines Strahlen aussendenden Gebildes. Die Strahlen symbolisieren dabei mögliche Bewegungsrichtungen des Galaxie-Haufens.

Björn Dahlem, Mond, 2018, Courtesy Privatsammlung Foto: Haus am Waldsee

Im oberen Geschoss werden weitere Arbeiten von Dahlem und Fischer in Bezug zueinander gesetzt. Hier handelt es sich vor allem um Experimente mit Licht. Fischer formt Objekte und Installationen aus Lichtschlangen und reflektierenden Oberflächen. Dahlem kreiert aus Holzelementen und Glühlampen einen leuchtenden Mond.

„Into Space“ ist eine eigenwillige Ausstellung, mit einem umfassenden, aber jenseits des Mainstreams liegenden Thema. Die drei künstlerischen Positionen ergänzen, kommentieren und verstärken sich gut. Der Blick wird auf gleichzeitig größere, ja galaktische Zusammenhänge gelenkt. Und zugleich dringt er mikroskopisch auf die Teilchenebene vor. So wird klargemacht, dass das, was wir sehen, lediglich unserem Bildausschnitten, dem begrenzten Frequenzbereich des sichtbaren Lichts geschuldet ist. Weit stoßen die drei Bildhauer*innen dabei die Tore zu philosophischen, technischen und ethischen Diskursen auf, „Into Space“ eben.

Bis 10.1., Haus am Waldsee

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