Zur Frankfurter Buchmesse 2020: Kein Raum zum Ausweichen
Arthur Koestler hat einen grandiosen Bericht über die ersten Wochen des Staates Israel im Jahr 1948 verfasst. Jetzt liegt er auf Deutsch vor.
Gleich im ersten Satz stellt Arthur Koestler in seinem 1949 auf Englisch erschienenen und nun nach 71 Jahren auszugsweise auch auf Deutsch erhältlichem Buch „Mit dem Rücken zur Wand“ mit erfrischender Klarheit fest, dass sich die Frage, ob der Zionismus eine gute oder schlechte Idee gewesen sei, spätestens seit Mitte der 1930er Jahre nicht mehr stellte, denn damals lebten eine halbe Millionen Juden in Palästina, und „das war keine politische Theorie mehr, sondern eine Tatsache“.
Vor diesem Hintergrund werden die Debatten, die bei jedem Krieg neu aufflammten, obsolet, wenn wieder einmal jemand darauf beharrte, dass die eine oder die andere Seite angeblich einen historischen Anspruch auf ein bestimmtes Gebiet hätte.
![](https://taz.de/picture/4437458/14/koestler-1.jpeg)
Arthur Koestler: „Mit dem Rücken zur Wand. Israel im Sommer 1948. Ein Augenzeugenbericht“. Elisinor Verlag, Coesfeld 2020, 176 Seiten, 25 Euro
Arthur Koestler, der durch seine Romane „Sonnenfinsternis“ und „Spanisches Testament“ weltberühmt wurde, war eigentlich Journalist und Reporter. Er war einige Male nach Palästina gereist, und als die Juden am 14. Mai 1948 den Staat Israel proklamierten und unmittelbar danach die kriegerischen Auseinandersetzungen begannen, fuhr Koestler ins Krisengebiet, wo er zwischen dem 4. Juni und dem 14. Oktober 1948 den wohl „kuriosesten Krieg der jüngeren Geschichte“ beobachtete.
Natürlich bestand auch dieser Krieg aus Halbwahrheiten und Lügen, bei dem der Sieger „nie vollständig im Recht“ ist und es keine „unschuldigen Opfer“ gibt. Was diesen Krieg jedoch so außergewöhnlich machte und was Koestler auf sehr überzeugende und lebendige Weise beschreibt, war die große Überlegenheit der Araber. Sie in eine Niederlage verwandelt zu haben schien an ein Wunder zu grenzen.
David gegen Goliath
Aber es war kein Wunder, sondern dafür gab es Gründe, und diese bestanden laut Koestler in der „Rückständigkeit der arabischen Länder“. Dennoch standen vierzig Millionen Araber einer Dreiviertelmillion Juden gegenüber.
Die arabischen Länder verfügten über ein fast unbegrenztes Reservoir von Einsatzkräften und hatten noch dazu unvergleichlich mehr und besseres Kriegsgerät. Im Unterschied aber zu den Arabern blieb den Juden „keine Möglichkeit zum Rückzug. Sie mussten mit dem Rücken zur Wand kämpfen – und genau deshalb haben sie den Krieg gewonnen.“
Das alles sind natürlich bekannte historische Fakten, aber Koestler beschreibt auch, wie überflüssig dieser Krieg war, denn in den kleinen Dörfern kamen die Palästinenser mit den Juden schon lange gut aus, wenn es keine Einmischung von außen gab. Die Araber waren bereits zufrieden, ein kleines Café zu betreiben und ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Sie hatten keine großartigen Ambitionen und keinen Ehrgeiz, man könnte auch sagen, sie hatten nichts, wofür sich zu kämpfen wirklich lohnte. Und das macht sie auch wieder sehr sympathisch.
Frauen in den jüdischen Einheiten
Für die unterlegenen Juden hingegen verhielt sich die Sache ganz anders, und auch das beschreibt Koestler sehr plastisch, indem er zwei Kämpfer vorstellt. Der eine war in fünf Jahren in 13 verschiedenen Konzentrationslagern, der andere ein früherer Jurastudent aus Krakau. Keiner von beiden hatte jemals einen Panzer gesehen. Jetzt warfen sie Brandbomben auf das rollende Ungetüm. Wurde ein Panzer getroffen, drehten fünf andere ab und fuhren zurück.
Die Juden stellten schnell fest, dass der Gegner nicht sonderlich auf Nahkampf versessen war. Erst als die Araber erfuhren, dass in den jüdischen Einheiten auch Frauen kämpften, fingen „sie plötzlich an zu kämpfen wie die Löwen“, wie ein Haganah-Offizier es formulierte, weshalb die jüdischen Frauen von der Frontlinie wieder abgezogen wurden.
Ein Kapitel handelt von einem Tiefpunkt im Kampf der Israelis, weil er nicht gegen die Araber, sondern zwischen der Jewish Agency und der Irgun ausgetragen wurde. Die Irgun hatte das Massaker von Deir Jassin auf dem Kerbholz und wurde von der Gegenseite und Intellektuellen wie Hannah Arendt als terroristische Organisation angesehen.
Koestler zufolge war das bloße Rhetorik, denn nicht nur kannte er einige ihrer Mitglieder ganz gut, die Irgun hatte auch einen großen Rückhalt in der jüdischen Bevölkerung, weil die Erinnerung noch frisch war, als die Irgun gegen die britische Besatzungsmacht den Kopf hingehalten hatte.
Tragödie der Altalena
Die Irgun hatte eine Schiffsladung dringend benötigter Waffen organisiert, die heimlich entladen werden mussten. Die Jewish Agency wurde eingeweiht, und die Tragödie der „Altalena“ nahm ihren Lauf. Das Unternehmen endete schließlich darin, dass das eigene Schiff in Brand gesetzt, die Waffen vernichtet und viele der eigenen Leute getötet wurden, unter anderem hätte es auch fast Menachem Begin erwischt, der sich im letzten Moment schwimmend an Land retten konnte.
Arthur Koestler beschreibt in seinen zum Teil als Tagebuch geführten Aufzeichnungen auf grandiose und packende Weise, von welchen irrationalen Entscheidungen und kuriosen Ereignissen dieser Krieg geprägt war.
Er betreibt keine Propaganda und er verteufelt nicht die arabische Bevölkerung, aber er verheimlicht auch nicht seine große Sympathie für die „Terroristenmädchen der Irgun“, eine polnische Studentin, ein ukrainisches Bauernmädchen und eine dunkle Jemenitin, die ihre volle Verachtung für Frauen kundtaten, „die nicht mit Plastiksprengstoff und Maschinengewehren hantieren“ konnten.
Aber wer hätte den Irgun-Frauen das angesichts des Krieges schon verübeln können?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören