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Löcher in der Abwehr

Jürgen Klopps FC Liverpool bezieht bei Aston Villa Prügel. Das 2:7 steht für einen Trend in der englischen Premier League: Die Spitzenteams sind nicht mehr unantastbar, weil ihnen in der Defensive viele Fehler unterlaufen

„Das hier war Geschichte, aber auf die falsche Art“: Jürgen Klopp hat seinen Humor nicht verloren Foto: reuters

Von Hendrik Buchheister

Es ist dramatisch genug, als Meister sieben Tore bei einer Mannschaft zu kassieren, die sich in der vergangenen Saison erst am letzten Spieltag vorm Abstieg gerettet hat, doch die Wahrheit ist: Es hätte noch schlimmer kommen können für den FC Liverpool bei Aston Villa. Ollie Watkins, mit drei Treffern der Mann des Abends beim 7:2-Sensationssieg des Traditionsvereins aus Birmingham gegen die Mannschaft von Trainer Jürgen Klopp, vergab in der Schlussphase beste Chancen auf mindestens zwei weitere Tore und gestand hinterher: „Ich hätte öfter treffen müssen. Es fühlt sich süßsauer an.“

Kein Zweifel: Der FC Liverpool hat sich lächerlich gemacht bei der höchsten Niederlage des Klubs seit 1963. Dass ein amtierender Meister in England zuletzt sieben Tore kassiert hatte, liegt sogar noch zehn Jahre länger zurück. Dem FC Arsenal war 1953 gegen Sunderland dieses Missgeschick unterlaufen. Für Klopp war es die höchste Niederlage seit einem 1:6 mit Mainz 05 gegen den SV Werder 2006. Nachdem die Reds in der vergangenen Saison der früheste Meister überhaupt im englischen Fußball geworden waren, schreiben sie jetzt wieder Geschichte.

Nur tun sie das eben auf eine Weise, wie es sich kein Verein wünscht – und wie es nicht zu erwarten war, trotz der wilden Ergebnisse, die die Premier League im Moment produziert. Am Wochenende zuvor hatte zum ersten Mal eine von Pep Guardiola trainierte Mannschaft fünf Tore kassiert – bei Manchester Citys 2:5 gegen Leicester City. Wenige Stunden vor Liverpools Spiel verlor Manchester United 1:6 gegen Tottenham Hotspur. Auch die Personalsorgen des Meisters (Torwart Alisson, Ex-Bayer Thiago Alcântara und Sadio Mané fehlten gegen Aston Villa) können nicht als Erklärung für die Blamage dienen. „Wir haben heute alles das gemacht, was man im Fußball nicht machen sollte“, sagte Klopp nach der schaurigen Vorstellung und stellte klar, dass die Mannschaft alleine Schuld sei am Debakel.

Die Demütigung entblößte die riskante Abwehrstrategie der Reds. Die Verteidigung um Virgil Van Dijk steht extrem hoch, um das Spielfeld zu verengen und die Rückeroberung des Balls zu erleichtern. Außerdem lässt Liverpool den Gegner durch diese Herangehensweise so oft ins Abseits laufen wie kein anderes Team. Allerdings ist die Mannschaft dadurch anfällig für Konter.

Beim 3:1 gegen den FC Arsenal eine Woche zuvor kam der Meister noch ungestraft davon. Klopp reagierte empört auf die Diagnose des einstigen Manchester-United-Kapitäns Roy Keane, dass Liverpool in der Abwehr teilweise „schlampig“ operiert habe. Aston Villa nutzte die Räume hinter der letzten Linie mit voller Wucht aus, genau so, wie es sich die Mannschaft vorgenommen hatte. „Unser Plan war es, hinter die Abwehr zu kommen, und man hat gesehen, dass es funktioniert hat“, sagte Dreifach-Torschütze Watkins.

„Wir haben alle unsere schlimmen Fehler in ein einziges Spiel gepackt“

Jürgen Klopp, Coach des FC Liverpool

Die Gegner haben erkannt, wie man Liverpool schlagen kann, das ist die beunruhigende Nachricht für Klopp. In England wird jetzt debattiert, ob dieses 2:7 nur ein Ausrutscher war – oder auf einen negativen Trend hindeutet. Für die Ausrutscher-These spricht, dass Liverpool mit seiner riskanten Spielweise in den vergangenen beiden Saisons in der Premier League 97 und 99 Punkte holte und in der neuen Spielzeit neben Arsenal auch schon den teuer verstärkten FC Chelsea souverän (2:0) besiegt hat.

Die Trend-Theorie wird dadurch gestützt, dass die Reds seit der Coronapause nicht mehr so unantastbar sind wie vorher. Das Debakel bei Aston Villa war schon die dritte Liga-Niederlage seit dem Neustart im Juni. Davor hatte die Mannschaft nur zwei Spiele in fast zwei Spielzeiten verloren. Liverpools Abwehr ist brüchig geworden, das war unter anderem schon beim 0:4 gegen Manchester City Anfang Juli oder beim 4:3-Erfolg gegen Aufsteiger Leeds United zum Start der neuen Spielzeit zu sehen.

„War das eine einmalige Angelegenheit? Das würde ich gerne denken“, sagte Klopp nach seiner schlimmsten Niederlage als Trainer in England, doch er weiß, dass erst die kommenden Wochen Aufschluss darüber geben werden. Die nächste Aufgabe wird interessant. Nach der Länderspiel-Pause geht es im Merseyside-Derby gegen den FC Everton. Der Stadtrivale steht an der Tabellenspitze.

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