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Glück, Geld und die Kraft des Bösen

Der Kunstverein Braunschweig präsentiert noch bis Ende kommender Woche die Meisterschüler:innen der niedersächsischen Kunsthochschule quer durch die Gattungen

Ein kritischer Kommentar zur Lage der Kunst? Bhima Griem hängt seine Arbeiten kaum wettersicher in eine Folienbude Foto: Stefan Stark/Kunstverein Braunschweig

Von Bettina Maria Brosowsky

Nach langer Zeit – wohl fast 20 Jahren – stellt der Kunstverein Braunschweig wieder die Abschlusspräsentationen der Meisterschüler:innen der örtlichen, oder besser: niedersächsischen Kunsthochschule aus. In den vergangenen Jahren schien es Usus zu sein, mit ihnen durchs Flächenland zu ziehen, so gastierten sie 2019 in der Städtischen Galerie Nordhorn, 2017 in Wolfsburg. Nun haben sich 18 Künstler:innen diverser Gattungen, Klassen und betreuender Professor:innen in Haus, Hof und Garten der Villa Salve Hospes, prinzipiell ja eine Offerte für Gruppenausstellungen, dicht arrangiert eingerichtet. Die Aufteilung der Flächen und Räume ging harmonisch vonstatten, weiß Kunstvereinsdirektorin Jule Hillgärtner, die als Hausherrin die kuratorische Oberhand behielt. Jede:r Künstler:in habe gespürt, welche Situation passend war und im besten Fall eine ganz neue Arbeit provozierte, und sei es nur ein unscheinbares Fleckchen beim Elektroverteilerkasten – doch dazu später mehr.

Den Zugangshof besetzt Jean Sikiaridis mit einer wohl fünf Meter hohen Installation rund um seinen persönlichen Totembaum, die Pappel. Sie wurde Opfer von Fällarbeiten nahe der Kunsthochschule, Sikiaridis sicherte sich einen großen Teil des Stammes. Kopfüber in ein Metallgestell gehängt, treibt der nun mit erstaunlicher Widerständigkeit etwas neues Grün aus: eine Prothese für etwas, dass wir selbst entwurzelt haben, so Sikiaridis, ein Zustand, den es nicht zu geben bräuchte. Aber vielleicht auch eine Metapher für die Existenzbedingung einer Künstler:in?

Verlust suggeriert auch Tschoe One in der Eingangsrotunde: Er hat zwei der vier weiblichen Statuen aus ihren angestammten Rundnischen entfernt und zeigt sie nun als größengleiche Videoaufnahmen auf jeweils zwei Monitoren, aufgehängt in robuste Werkstattkräne. Er spielt mit dem Erinnerungsmoment auf eine Weise, die so ähnlich auch auf Baustellen der Denkmalpflege eingesetzt wird: indem das zu restaurierende Objekt auf Bauzaun oder Gerüstplane dargestellt wird. Hier ist es anders: Die zwei Objekte werden durch ihr eigenes Abbild aus einem architektonisch-ikonografischen Gesamtbestand isoliert, der normalerweise in seiner Vielfalt wohl gar nicht mehr wahrgenommen wird.

So erkenntnistheoretisch geht es nicht durchgängig weiter, aber eine Fülle von Medien und Techniken wartet in den anschließenden Räumen. So hat Rebekka Beischall für „Hop­scotch“ den unzeitgemäßen, gezeichneten Trickfilm reanimiert: Das Hüpfspiel aus Kindertagen entführt in Himmel und Hölle, irrlichtert zwischen Glück, Geld, einem üppig gedeckten Tisch und der zerstörerischen Kraft des – eigenen – Bösen. Saskia Siebe wiederum hat vor dem Studium das Handwerk des Glasmosaiks erlernt. Sie zeigt nun eine wandgroß aufgezogene illusionistische Radierung mit Architekturrelikten, Vegetabilem und einem tierischen Beobachter, setzt dazu motivisch verwandte Keramiken und ein Mosaik.

Nicht viel mehr als Gott

Jan Neukirchen ersann eine Klangapparatur, die den Beginn des Johannesevangeliums als „stille Post“ durch Echomaschinen in vier Raumecken schickt. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“ – ganz viel bleibt zum Schluss nicht mehr übrig, die phonetische Redundanz scheint ihr Scherflein dazu beizutragen.

Im repräsentativen Empfangszimmer der Villa zeigt Uğur Ulusoy eine rund sieben Meter lange, flirrende Malerei, die sich mit den Schwierigkeiten nicht nur menschlicher Begegnungen beschäftigt. Er hat die in Teilen aufgerollte Leinwand durch malerische Tentakel im Raum verortet. Und den großen Spiegelsaal belebt Sophia Lökenhoff zyklisch durch eine opernhafte Performance: Drei Protagonistinnen mit Masken und apparativen Körpererweiterungen finden zu einer hy­briden Einheit „queer kollektiver Sisterhood“, so der Begleittext.

War die Rotunde im Erdgeschoss schon Ort künstlerischen Eingriffs, setzt sich dies im Obergeschoss fort: Ein weißes Velum deckt den Luftraum hinunter ab, Lichtreflexe des klassizistischen Thermenfensters, so Christian Holl, sollen sich darauf projizieren. Ein transparenter Lichtkörper schickt noch zwei grüne Laserstrahlen ins Deckengesims, wo sie sich verlaufen.

Johannes Möller liebt es minimalistisch: Sein „Arbeitsgegenstand“ – frei nach Karl Marx – ist ein Kantholz handelsüblicher Abmessung, ein Astverlauf wurde herausgenommen und durch einen Bronzeabguss ersetzt. Was also ist Kunst, fragt Möller: die Geste des Machens? Im Flur, unter Elektroverteilerkasten und technischer Beschilderung, hat er noch sein Kästchen für die „Weiße Flagge“ gesetzt. Sie ist ja ein universelles, kriegsrechtlich geschütztes Signal für gestreckte Waffen und Verhandlungsbereitschaft. Aber wird sie hier je gebraucht? Möller stattet gerade Institutionen mit diesem Kapitulationssymbol aus, erzählt, dass es mittlerweile zur Einrichtung des Kunsthochschul-Präsidiums gehöre.

In den Räumen des Kunstvereins Braunschweig wartet eine Fülle von Medien, Techniken und erkenntnis-theoretischen Herausforderungen auf den Besuch

Den langen Flur nutzt Ale­xander Mick für eine sehnsuchtsvolle Erinnerungsreise: Er ist in den 1990er-Jahren als Kind „Wolgadeutscher“ immi­griert, nähert sich der Welt seiner Vorfahren über Druckgrafiken und verfremdete Fotografien, das kyrillische Zeichen für „und“ sowie ein schwarzes Quadrat, unkommentiert. Fragt Johannes Möller schon nach dem Kunstbegriff, unterzieht Ivana Rohr die Untrennbarkeit von Werk und Urheber:in einer juristischen Exegese, wendet sich in Textarbeiten gegen das Konstrukt des Künstlergenies. Thomas Depner pflichtet dem bei: Er stattete einen Raum für die benachbarte Musikschule aus, sie wird hier regelmäßig Unterricht geben; künstlerische Kategorien verschmelzen.

Wie weiter mit der Kunst?

Im Garten hinter der Villa hat sich Bhima Griem geradezu häuslich niedergelassen: ein Zelt zum Schlafen, ein improvisiertes Atelier – seine „kleine Villa“ –, sein Auto. Die eigene, manisch malende Produktivität aus Torsi und Janusköpfen überlässt er dem wenig wetterstabilen Schutz seines Folienbaus: auch das ein Kommentar zur Lage der Kunst, des Künstlerseins?

Wie geht es also weiter für die jungen Künstler:innen? In der Remise des Kunstvereins absolviert ein bereits „fertiger“ Künstler und Autor, der Berliner Markues Aviv, derzeit seine erste institutionelle Einzelausstellung: Zarte, kaum noch wahrnehmbare Aquarelle docken wie Medusen an leere Waschmaschinengehäuse an. Ein in Blautönen schillernder Vorhang taucht den Raum in das gebrochene Licht einer Wasserlandschaft, in der alles zu zerfließen scheint. Bhima Griem fand für sich bereits eine handfestere Antwort: Seit Mai leitet er gemeinsam mit seiner Frau die Worpsweder Künstlerhäuser, hat mit seiner Familie Berlin verlassen. Die eigene künstlerische Arbeit wird aber weitergehen.

„Meisterschüler*innen 2020: I’m Not Always Where My Body Is“ und „Markues: Prima Quallerina“: beide nur noch bis So, 18. 10., Kunstverein Braunschweig

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