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Rückblick auf die Berlin Art WeekSchwester im Geiste

After Art: Neue Kunsthallen in Reinickendorf, geniale Videos von Barbara Hammer. Noemi Molitor zu zwei großen Highlights des Berliner Kunstherbsts.

KRIWET, „Walk Talk“ (1969/2020) und „Text Dia“ (1970), Installationsansicht in der Ausstellung „K60“ Foto: Trevor Good; Courtesy BQ, Berlin

F ast hauchte am Sonntag ein Venezianischer Wind durch die Wilhelm Hallen. Wie ich so auf dem sandigen Boden zwischen den Backsteingebäuden der ehemaligen Eisengießerei hin und her spazierte, kam mir unweigerlich das Arsenale der Venedig Biennale in den Sinn. Hochgegriffen? Nein. Die Wilhelm Hallen gaben sich zur Berlin Art Week als sympathische jüngere Schwester im Sand und Geiste zu erkennen – so viel Spaß an Umgebung und Inhalt hatte ich schon lange nicht mehr.

Angenehm undurchgestylt erschien das Gelände in Reinickendorf und mit genügend versteckten Ecken, die den Blick nicht nur auf die Kunst, sondern auch auf die Architektur und ihre Vergangenheit lenkten, auf verlassene Hallen mit verwinkelten Glasdecken und auf die vielen alten roten Falttüren mit ihren abgerundeten, raumfahrtinspierierten Fenstern.

Vor der Drei-Kanal-Videoinstallation “Just a Normal Day“ (2019) von Guan Xiao (Kraupa-Tuskany Zeidler) im Haus B, der ehemaligen Aufbereitungshalle, hatte sich eine Pfütze auf dem Erdboden gebildet, sie bleib dort und ließ den Bildern Platz für Spiegelungen: “1-900-9099-CRY“ blinkte es im Werbespot für eine “Sob Story“-Hotline, Teil des von der Künstlerin wunderbar komponierten Found Footage, den Zuschauer_innen entgegen.

Dank des Zusammenschlusses von sieben Berliner Galerien – alexander levy, BQ, ChertLüdde, Klemm’s, Kraupa-Tuskany Zeidler, Plan B und PSM – war das denkmalgeschützte Areal erstmals zugänglich. Dort haben die Galerien die gemeinsame Gruppenausstellung “K60“ im Haus D mit Arbeiten von 23 Künstler_innen realisiert. Auf zwei Etagen haben die Arbeiten ausreichend Platz für sich zu stehen.

Walk the Talk

Im Erdgeschoss nimmt allein KRIWETs Rauminstallation “Walk Talk“ (1969/2020) – ausgerichtet von BQ – den Eingangsbereich über Decke und Boden hinweg ein. Die transparenten PVC-Schriftfahnen des Künstlers (1942-2018) tragen den Titel “Text Dia“ (1970), die darauf im Kreis angeordneten Wortspiele drehen sich wiederum in einer Videoarbeit umeinander, immer wieder eingeblendet zwischen einer Kakophonie aus Kriegsbildern, Propaganda und Werbesymbolen. “Walk – Talk“, Gelb auf schwarzem Grund gedruckt, erfüllt hier die gesamte Bodenfläche – so clever lässt sich dem Laufen über Text die Frage entnehmen, ob wir das, was wir politisch vertreten, auch tatsächlich in die Tat umsetzen, “Walk the Talk“ eben statt Lippenbekenntnisse.

Dazu hallen alle paar Minuten ein paar dumpfe Schläge durch den Raum, wenn Ciprian Muresans Waxskulpturen (Galeria Plan B) anfangen auf ihren weißen Sockeln Autoscooter zu fahren. Einige Meter weiter hängen für PSM zwei großformatige Gemälde von Daniel Lergon, der genüsslich die Materialität der Ölfarbe in Szene setzt, rechts in Phthalocyaningrün, links in sattem Alizarin Crimson. Alle Künstler_innen lassen sich hier nicht erwähnen, wohl aber dass auch im Obergeschoss mit Keltie Ferris und Thomas Arnolds (beide Klemm's) sowie mit Catherine Biocca (ebenfalls PSM) eine Rige an herausragenden zeitgenössischen Maler_innen vertreten ist.

Zudem ist die am Wochenende mit dem VBKI-Preis für Berliner Galerien ausgezeichnete Galerie ChertLüdde mit vier Künstler_innen vertreten, Sol Calero, Kasia Fudakowski, Petrit Halilaj und Zora Mann rauschen hier mit Installationen, Wandarbeiten und Kreidezeichnungen durch die Hallen. Über all das wacht Katja Novitskovas Hyäne (Kraupa-Tuskany Zeidler), eines der vielen Tiere, die die Künstlerin als überlebensgroße Cut-Outs in ihre Umgebung trägt.

Noch diesen Samstag und Sonntag (19. & 20. 9.) können “K60“, sowie weitere kleinere Ausstellungen und offene Ateliers unter dem Titel „Halle #1“, auf dem Gelände der Wilhelm Hallen besucht werden. Einen Vorgeschmack auf “K60“ bietet die Bildergalerie auf der Website des Gallery Weekend.

Amiga & Nooky: Barbara Hammer

An die euphorischen Fluten, die in den Wilhelm Hallen über mich schwappten, reichten am Wochenende nur die Arbeiten der Filmemacherin Barbara Hammer (1939-2019) bei KOW heran. Unter dem Titel “Would You Like to Meet Your Neighbor?“ zeigt die Galerie Arbeiten der 80er aus dem Estate von Hammer, die zuvor fast ausschließlich in Arthouse Kinos und auf Festivals zu sehen waren.

Wer letztes Jahr also das Screening von Hammers “No No Nooky T.V.“ (1987, 16mm, color and B&W, sound, 12 min.) beim Xposed Queer Film Festival verpasste, das der Filmemacherin Hommage zollte, kann das Video hier erleben. Und was für ein Fest von einem “Nooky“ diese Arbeit doch ist. Als Hammer begann mit Animation zu experimentieren, involvierte sie ihren Amiga-Computer und fütterte ihn mit Farben, lesbischen Blicken und dem ihr so eigenen scharfen Humor. Cyberfeminismus meets sprechenden Computer, alles auf 16mm gefilmt und m(i)ga sexy.

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