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Sechs Monate Alltag mit CoronaIn Zeiten abnehmender Sicherheit

Keine Krise ohne Widersprüche. Und: Ideologie hilft wieder nicht weiter. Die taz-Kulturredaktion über das Pandemieleben. Teil 3.

Corona-Abstandsmarkierung auf der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg Foto: Christian Jungeblodt

In der Krise findet eine Gesellschaft häufig zu sich selbst, oder sie potenziert ihre Konflikte. Wie ist es ein halbes Jahr nach Beginn der Coronapandemie, wie steht es um die Stimmung in der Republik? Mein inneres Politbarometer sagt mir: gemischt. Es geht ähnlich weiter wie zuvor.

Ein Freund erzählt von der Schule seines Sohnes. Dort werden jetzt – sechs Monate nach Beginn der Pandemie und nach Ende der Sommerferien – die maroden Fenster ausgetauscht. Abgeschraubte Fenstergriffe, die Scheiben drohten herausfallen.

Aber man soll ja jetzt lüften können, sagen die Behörden. Über dreißig Schüler:innnen finden sich, ohne Abstandsregeln einhalten zu können, zum täglichen Präsenzunterricht in den engen Klassenräumen ein. Über Internet braucht man hier nicht zu reden, Bücher wären schon ganz schön. Ein staatliches Gymnasium im Osten Berlins.

Jugendliche haben generell eher Probleme mit den Hygieneregeln. Nach dem, was sie alltäglich erleben oder von Demos in den Medien sehen, umso mehr. Manche sind im Coronasommer wohl bereits zu jungen Zyniker:innen mutiert.

Ohne App kein Bad

Vor dem Schwimmbad im Wedding stehen ein paar Migrantenkinder. Sie diskutieren mit dem Einlasspersonal. Ohne App, Smartphone und Konto kommt niemand mehr in die städtischen Bäder Berlins. Vorher digital anmelden und bezahlen. Ein Traum für Badewärter:innen und Profischwimmer:innen: öffentliche Bäder ganz ohne Kinder.

Im Corona-TV konnte man während des Lockdowns fix und fertige Eltern sehen. Manche weinten. Sie mussten in den Coronaferien sehr viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die enttäuschten Kinder und Jugendlichen sieht man, hingegen nicht die, die jetzt in überfüllten Zügen und Schulen sitzen, während Sportwettbewerbe weiter eingeschränkt bleiben.

Punktgenau zum Ligastart hat der Berliner Fußballverband die Meisterschaften amputiert. 2020/21 spielen Junioren und Juniorinnen nur noch Hinrunde, keine Rückrunde. Sport im Freien, da lauert also die Gefahr. Die (vorsichtige!) taz lässt derzeit Konferenzen mit maximal 16 Personen im Gebäude zu. Ihr Konferenzraum hat nicht annähernd die Maße eines Strafraums eines Fußballfelds. Logik?

Konstant scheint auch das „systemkritische“ Theater dort weiterzumachen, wo es vor Corona aufgehört hat. Am Gorki Theater Berlin hat Sebastian Nüblings Inszenierung der „Schwarze Block“ nach Kevin Rittberger Premiere. Ästhetisch anspruchsvoll – tolle SchauspielerInnen, packende Live-Kamera-Szenen aus dem Freien übertragen, räumlich überragender Sound –, doch eine an ideologischer Einfalt kaum zu überbietende Textspur. „Staat, Nation, Kapital? Scheiße!“ Politfolklore im Geiste der Dimitroff-Thesen von 1933. Von Autonomie, Antifa und Militanz wenig Ahnung.

Und auf den Stufen zum Reichstag? Drei Polizisten, die sich Faschisten und Coronaleugnern entgegenstellen.

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