: Wenigerist mehr
Die letzten Dinge des Lebens zeitig zu ordnen wirkt befreiend und entlastet später die Nachfahren. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Besitz ist sehr persönlich
Margareta Magnusson: Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2018. 160 Seiten, gebunden. Preis: gebunden 18 €, E-Book 16,99 €.
Von Lars Klaaßen
Wenn ein Umzug in eine andere Wohnung, eine andere Stadt oder ein anderes Land ansteht, wird Bilanz gezogen: Was kommt mit? Was wandert in welche Kisten? Was wird irgendwo zwischengelagert? Was verkaufe oder verschenke ich? Was kommt in den Müll? Fast jeder dürfte diese Momente kennen. Margareta Magnusson stand siebzehnmal in ihrem Leben vor solchen Fragen. So hat sie viele Erfahrungen darüber gesammelt, was man behalten und was man ausrangieren sollte, wenn man eine neue Wohnung bezieht, in ein anderes Land geht – oder die Erde verlässt. Sie stand vor der Aufgabe, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen, als ihre Eltern starben. Ein weiteres Mal im Todesfall ihres Mannes.
Nach eigener Aussage ist die Schwedin zwischen 80 und 100 Jahre alt. Die Fragen, was man hinterlässt, wem und wie, betreffen nun ihre eigene Person. Für Magnusson war all das Anlass genug, über diesen Lebensaspekt ein Buch zu schreiben. Im Schwedischen gibt es dafür sogar ein Wort: döstädning. Dö bedeutet Tod, städning heißt aufräumen oder reinemachen. Der Begriff beschreibt, dass Menschen ausmisten, aufräumen und die Wohnung angenehm gestalten, wenn sie spüren, dass ihr Lebensende naht. Die Autorin betont, dass dies keine traurige Angelegenheit sei, im Gegenteil: „Mit der Verkleinerung des Besitzstandes schon zu Lebzeiten erspart man sich und anderen viel Zeit.“
Bei einem Umzug kommt kein Mensch drumherum, sich mit seinem Hab und Gut zu befassen. Dabei wird es schnell persönlich, denn was wir besitzen und wie wir damit umgehen, sagt viel darüber, wer wir sind. Mit unserem letzten Umzug, dem Lebensende, möchte sich aber kaum jemand befassen. Doch auch hier gilt, je früher man sich dem Döstädning widmet, desto besser. Die Schwedin weiß aus eigener Erfahrung: „Früher oder später werden sie das eine oder andere Zipperlein bekommen, und dann werden Sie froh sein, wenn sie nicht mehr so viel um die Ohren haben wie früher und einen Haufen Krempel los sind, der Sie nur unnötig belastet hat.“ Das Prozedere kann sich zudem in die Länge ziehen. Nach dem Tod ihres Mannes zog Magnusson aus dem gemeinsamen Haus in eine kleinere Wohnung: „Das Leeräumen dauerte fast ein ganzes Jahr.“ Es sei gut, sich Zeit zu nehmen. Dabei solle aber nicht vergessen werden, das gewohnte Leben weiterzuführen, „vor allem aber für sich selbst Sorge zu tragen“.
Leichter wird der befreiende erste Schritt, sich zu sortieren und unnötigen Ballast abzuwerfen, wenn man andere hinzuzieht: „Erzählen Sie Angehörigen und Freunden von Ihrem Vorhaben“, rät die Schwedin. Einerseits können diese helfen, schwere Sachen an einen anderen Platz zu tragen – oder Dinge mitnehmen, die nicht mehr gebraucht werden. Eine große Erleichterung sei es zudem, eine zweite Meinung einzuholen: „Ratschläge oder auch nur die Ansicht von jemandem, der in einer ähnlichen Situation oder jünger ist als Sie und die Dinge aus einer anderen Perspektive sieht, können hilfreich sein.“ Relevant ist auch die Frage, womit am besten begonnen werden sollte – um sich die ersten Schritte nicht zu schwer zu machen. „Ich wähle als erste Kategorie stets die Kleider“, berichtet die Autorin, „für mich eine einfache Kategorie“ (siehe Kasten). Hingegen mit Fotos oder Briefen anzufangen, davon rät sie ab: Zu viele persönliche Dinge hängen daran, für die man sich Zeit nehmen muss.
Wie auch Magnusson, werden die meisten Menschen die letzten Dinge des Lebens nicht zuerst bei sich, sondern bei anderen ordnen. So empfiehlt sie, die Eltern beizeiten auf das Thema anzusprechen: mit „Taktgefühl“, „möglichst behutsam und fürsorglich“. Egal ob es um andere geht oder um einen selbst, Döstädning bedeute nicht bloß, Dinge wegzuwerfen: „Es geht um Gefühle!“ Wie viel von unserem Leben und unseren Gefühlen in Besitztümern steckt, entscheiden wir schon über viele Jahre durch unser Verhalten. Bloß weil es uns gefällt, müssen wir nicht gleich jedes Ding kaufen. Und wenn wir dann doch mal wieder ausmisten wollen, weil zu viel unnützes Zeug uns belastet, können wir von anderen lernen, deren Wohnung so schön minimalistisch eingerichtet ist.
Es wird wohl immer Gegenstände geben, die für andere belanglos, einem persönlich aber sehr wichtig sind. Solche Dinge packt Magnusson in ihre Wegwerfschachtel mit der Aufschrift „Privat: wegwerfen“. Die Autorin ahnt schon, dass ihre Kinder dort hineinsehen werden: „Sie können aber auch darauf verzichten.“
Übrigens warnt die Schwedin davor, zu sagen: „Ich habe keine Kinder, also brauche ich nicht auszumisten.“ Denn „irgendjemand wird Ihren Krempel wegräumen müssen, wenn Sie einmal nicht mehr da sind. Und wer immer es sein wird, er wird es als eine Last empfinden“. Döstädning kann einen selbst befreien sowie andere entlasten. Und auch wenn es etwas Tröstliches hat, seinen Lieben etwas zu hinterlassen, weiß Magnusson, dass für jeden gilt: „Ein Mensch, der Sie liebt, möchte schöne Dinge von Ihnen erben, nicht Ihren ganzen Krempel.“
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