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Klasse Annahme

Im Acud wird in der Gesprächsreihe „Let’s Talk About Class“ die Klassenfrage aufgeworfen – und auch mal in Frage gestellt

Warum nicht „Schicht“? Oder gleich „Kaste“?

Von Jan Jekal

Es gibt einen besonders interessanten Moment am Donnerstagabend bei der vierten Ausgabe der Lese-Performance-Gesprächsreihe „Let’s Talk About Class“, die vom Kulturhaus Acud in Mitte gestreamt wird. Dieser besonders interessante Moment ist der, als die Schriftstellerin Jackie Thomae plötzlich die Grundannahmen der Moderierenden in Frage stellt und sie damit ein wenig aus dem Konzept bringt. An diesem Punkt läuft die Veranstaltung bereits eine Dreiviertelstunde, und bis dahin sind sich alle, also Schriftsteller Michael Ebmeyer und Autorin Daniela Dröscher, die gemeinsam moderieren, und die anderen beiden Gäste, die Autorinnen Dilek Güngör und Katy Derbyshire, ziemlich einig gewesen.

Die Annahme, unter der bisher operiert worden ist, ist eine bekannte und hoffnungslose: Deutschland ist eine Klassengesellschaft, will diese Tatsache aber nicht wahrhaben und ist daher besonders undurchlässig. Auch als Versuch der Intervention soll es an dem Abend um den „Klassenkrampf“, mit r, gehen, also die Scham, die das Reden und das Reflektieren über die eigene Klassenzugehörigkeit hemmt.

Moderator Ebmeyer fasst die soziale Kälte eines von neoliberalen Fiktionen dominierten Landes in dem Satz zusammen, dass „wer es jetzt nicht schafft, eben selber schuld“ sei, und da hakt Jackie Thomae dann ein und fragt: „Aber wird das denn gesagt?“ „Es wird vermittelt, würde ich sagen“, sagt Ebmeyer da, ein wenig verunsichert. „Ja?“, fragt Thomae. „Hört man das wirklich so oft, dieses Selber-schuld-Narrativ?“ „Ich dachte“, sagt er.

Ist die neoliberale Erzählung tatsächlich so wirkmächtig? Gibt es in Deutschland wirklich einen Determinismus, nach dem das Milieu, in welches man geboren wird, gleichzeitig die Endstation bedeutet, und nach dem, selbst wenn man es irgendwie „nach oben“ schafft, man sich dort dann für immer fremd fühlt, unzugehörig, nie ankommend?

Sie fände den Begriff „Klassengesellschaft“ total veraltet, sagt Thomae an anderer Stelle. Sie berichtet von ihrer Jugend in der DDR (sie war siebzehn, als die Mauer fiel). „Ich war sprachsensibel genug, um zu wissen, das sind hohle Phrasen, das ist überholt, und wir sind hier in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts und hören uns Sachen aus dem 19.Jahrhundert an.“

Mit dem Begriff der „Klasse“ verbinde sie die Propaganda, die sie damals gehört habe. „Ich würde eher von Schichten sprechen“, sagt sie. „Weil eine Klassengesellschaft bedeutet auch, dass du schicksalhaft in etwas hineingeboren wirst, aus dem du nicht mehr herauskommst, aus dem du dich nur mit einer Revolution befreien kannst.“ Und das hätte wenig mit der deutschen Gegenwart zu tun.

Mit ihrem Verweis auf die definitorische Unschärfe der benutzten Begrifflichkeiten legt Thomae ihren Finger in die Wunde des Abends. Wovon sprechen wir, wenn wir von „Klasse“ sprechen? Warum nicht „Schicht“? Oder, wenn es Determinismus sein muss, warum nicht gleich „Kaste“?

Es gäbe genug Grundsätzliches, das eine Diskussion befeuern könnte, aber das ist nicht das Format, für das sich die Moderierenden entschieden haben. Die Gäste reden nicht miteinander, kommen nicht zum Diskutieren, sondern werden nacheinander interviewt und lesen nacheinander aus ihren aktuellen Romanen vor (Dilek Güngör zum Beispiel eine Passage über Bildungsbürgereltern, die ihre Sprösslinge nur auf die besten Schulen schicken und sich zur Not dort einklagen) oder, im Fall von Katy Derbyshire, halten am Beispiel biografischer Skizzen der Großeltern einen Diavortrag über den britischen Klassismus.

Derbyshire schließt mit einem Diktum der Autorin Nathalie Olah: „Feiert die Arbeiterklasse und erzählt Geschichten von ihr.“

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