Terrorprozess in Neuseeland: Der Hass bekommt keine Chance

Beim Terrorprozess im neuseeländischen Christchurch vergibt eine Mutter, die bei der Tat ihren Sohn verlor, dem Täter. Es fühlt sich wie ein Wendepunkt an.

Zwei Frauen und zwei Männer mit betroffenem Blick.

Aufarbeitung des Terrors: Angehörige bei der Anhörung am Montag beim Gericht in Christchurch Foto: John Kirk-Anderson/ap

Christchurch taz | Auf dem Dach des Gerichtsgebäudes in Christchurch stehen frühmorgens Scharfschützen. Die Straße ist verbarrikadiert, die Sicherheitskontrollen streng. Seitwärts, wie im Krebsgang, führen Beamte den Angeklagten mit Fußfesseln in den Saal. Schmächtig und blass sitzt der Australier, der vor 17 Monaten zwei Moscheen stürmte, 51 Betende erschoss, 40 verletzte und etliche mehr traumatisierte, hinter Plexiglas und wird die nächsten drei Tage mit den Folgen seiner Tat konfrontiert.

Für die Anwesenden ist es ein emotionaler Marathon. Für den rechtsextremistischen Täter, so eine Opfer-Anwältin draußen auf dem Flur, ist es „ein Spiel“: „Er ist ein Psychopath, er weidet sich an unserem Schmerz.“

Da der 29-Jährige sich schuldig bekannte, gibt es keinen Prozess mehr. Bevor das Urteil festgelegt wird, sprechen 66 Opfer und Hinterbliebene darüber, was der Anschlag mit ihnen gemacht hat. Die ersten 26 von ihnen kamen am Montag zu Wort – einige per Videoaufzeichnung aus dem Ausland, andere lassen ihre „victim impact statements“ vorlesen.

300 Betroffene in 15 Ländern verfolgen das Verfahren zusätzlich per Live-Stream, der nirgendwo verbreitet werden darf. Die Medienauflagen sind ebenfalls streng, um dem Täter keine Chance zur öffentlichen Selbstdarstellung zu geben.

Schüsse, Schreie, Blut und Flüchtende

Der Auftakt des ersten Tages ist wie die Rekapitulation des Live-Videos, das der Attentäter mit einer Go-Pro während des Massakers gefilmt und im Internet verbreitet hatte.

Punkt für Punkt geht die Staatsanwaltschaft durch die Planung und Ausführung des ersten Terroraktes und größten Verbrechens in Neuseeland: welche Waffen der Täter sich besorgte, wie er die Grundrisse der Moscheen studierte, wie er am 15. März 2019 von Dunedin nach Christchurch fuhr und um 12.55 Uhr vor der Al-Noor-Moschee parkte, wo gerade das Freitagsgebet begann.

Die Schilderung der systematischen Hinrichtungen und Menschenjagden ist grausam in ihrer Sachlichkeit. Schüsse, Schreie, Blut, Flüchtende – alles wird wieder lebendig. Manche Details – zum Beispiel, dass der Killer eine angeschossene Frau auf der Straße zusätzlich mit seinem Auto überfuhr – sind neu und verstärken das Bild des Psychopathen.

Neu ist auch, dass er im Polizeiverhör sagte, dass er die Moscheen zusätzlich niederbrennen und noch viel mehr Menschen umbringen wollte. Seine Tat bezeichnete er selbst als „Terroranschlag“.

Gamal Fouda, der Imam der Al-Noor-Moschee mit rot-weißer Kappe, ist der Erste, der über den Horror und das Chaos des gleichen Tages spricht – wie er half, durch Bankkarten und Brieftaschen Männer zu identifizieren, und wie er schließlich 35 Familien von einem Massenbegräbnis überzeugte.

Opferanwältin

„Der Täter ist ein Psychopath. Er weidet sich an unserem Schmerz“

„Das Schwerste war, meiner Gemeinde die Namen der Toten zu sagen“, sagt er. „Ich habe fünf Tage lang meine Kinder nicht gesehen.“

Es folgen die Berichte von Flüchtlingen, die Krieg und ­Terror hinter sich gelassen hatten, um im friedlichen Neu­seeland ein neues Leben zu beginnen. Von Eingewanderten, die sich für die Schönheit der Natur begeisterten. Manche sprechen drei Minuten, andere zwölf, mit Übersetzung.

Die meisten können nicht mehr schlafen

Alle ­haben sie körperliche und ­seelische Wunden. Die meisten können nicht mehr schlafen, manche nicht mehr arbeiten, es stehen noch immer Operationen bevor, die Visasituation ist unklar. Es sind Dokumente psychischer und seelischer ­Zerrüttung – und Liebeserklärungen an all die Ermordeten.

Manchmal fällt das Wort „Märtyrer“, aber Rache oder Hass klingt niemals durch. Der Angeklagte sitzt still und verzieht keine Miene.

Danach steht Janna Ezat im Saal – zierlich, elegant, ohne Hidschab. Die Kalligrafin aus den Vereinigten Arabischen Emiraten verlor ihren Sohn, Hussein al-Umari. An ihrem Geburtstag, am Muttertag, wurde seine Leiche freigegeben.

Sie dreht sich zum Angeklagten. „Ich habe beschlossen, Ihnen zu vergeben“, sagt sie. Sie wiederholt ihre Worte, „I forgive you“. Der blasse Mann schaut ihr ins Gesicht, zuckt leicht und wischt sich über die Augen. Es fühlt sich wie ein Wendepunkt an.

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