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Sie sind noch nicht fertig

Nach dem Weggang von Bondscoach Koeman muss sich die niederländische Auswahl neu orientieren

Louis van Gaal Foto: dpa

Aus Amsterdam Tobias Müller

Zum Wiederbeginn erklang in der leeren Johan-Cruijff-Arena eine trotzige Erinnerung: „Wir haben etwas begonnen, und wir sind noch nicht fertig“, hieß es in einem Video des niederländischen Fußballverbandes. Das Team trat nach 290 Tagen Pause am Freitagabend erstmals wieder an. Der Start in die neue Nations League war holprig, endete aber mit einem 1:0 gegen Polen.

Bis vor ein paar Wochen hätte man sich über obigen Satz ziemlich gewundert. Immerhin hatte der Aufschwung dieses Oranje- Teams nach zwei verpassten Turnieren (2016 und 2018) gerade erst begonnen. Neben Siegen gegen Frankreich, England und Deutschland erreichten die Spieler um Georginio Wijnaldum und Memphis Depay letztes Jahr das Finale der ersten Nations-League-Ausgabe. Bei der im Sommer geplanten EM zählte man wieder zum Favoritenkreis.

Die Erkenntnis, dass auch die Fußballwelt nach der ersten Coronawelle eine andere ist, fällt in den Niederlanden noch ein wenig heftiger aus als anderswo. Was wiederum mit dem Mann zu tun hat, der als Garant des schnellen Aufstiegs galt: Ronald Koeman, der Anfang 2018 Bondscoach wurde und nach dreieinhalb turbulenten Jahren mit vier Vorgängern wieder für Konstanz zu sorgen schien.

Dass Koeman eine Ausstiegklausel in seinem Vertrag hatte, war bekannt. Noch letzten Herbst hoffte Nico-Jan Hoogma, in der Bundesliga einst als HSV-Kapitän bekannt und inzwischen KNVB-Verbandsdirektor, auf eine Zusammenarbeit bis zur WM in Katar. Es kam anders. Nachdem sich Barça in der Champions League von den Bayern zerlegen ließ, wurde Koeman kontaktiert. Er folgte dem Ruf. Auch ihm sei die Entwicklung „aufs Dach gefallen“, so Koeman Mitte August in einem Fox-Sports-Interview. Der Abschied von Oranje schmerze ihn, nachdem man gemeinsam einen guten Weg eingeschlagen habe. Zugleich war er „glücklich und stolz“ über den neuen Job. „Es fühlt sich an wie nach Hause kommen.“

Bemerkenswert ist Koemans Begründung. Das Algemeen Dagblad berichtet, Barcelona habe bereits im Januar angeklopft: „Damals fand ich es nicht richtig wegzugehen. Aber seit März ist viel passiert in der Welt. Alles ist sehr unsicher. Wer sagt mir, dass es nächstes Jahr überhaupt eine EM gibt?“ In dieser Ungewissheit macht sich das hochtalentierte neue Oranje nun also ohne Koeman auf den Weg. Vorläufig hat Assistent Dwight Lodeweges den Chefposten übernommen und dabei ein annehmbares Debüt hingelegt. Den Ausfall der beinahe vollständigen Verteidigung kompensierte er mit dem Bergamo-Duo Hans Hateboer und Maarten de Roon.

Generell ist im Team einiges im Umbruch: Während Stürmer Depay (Lyon) nach einem Kreuzbandriss überraschend schnell zurückkehrte, hat Frenkie de Jong ein schwieriges erstes Jahr in Barcelona hinter sich. Mittelfeldhoffnung Donny van de Beek wechselte van Ajax zu Manchester United, während Kapitän Wijnaldum wie auch Depay bei Barça auf dem Zettel steht. Außer Frage steht, dass Lodeweges seinen Posten als Bondscoach bald wieder räumt. Erst aber steht ihm heute Abend in Amsterdam mit dem Match gegen Italien noch ein echter Höhepunkt bevor. Wer ihn beerben wird, steht noch in den Sternen. Doch Oranje wäre nicht Oranje, gälte ein gewisser Louis van Gaal nicht als Kandidat.

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