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Verflogene Stimmung

Beim Remis in der Schweiz hinterlässt die DFB-Elf erneut einen dürftigen Eindruck – auch jenseits des Spiels

„Wir nehmen die Dis­kussion zum Anlass, uns zu hinterfragen“

DFB-Manager Oliver Bierhoff

Von Frank Hellmann

Vermutlich hätte nichts besser zu einem besorgten Bundestrainer gepasst als ein dunkler Vorhang im Hintergrund, der sich nur geringfügig vom schwarzen Rollkragenpullover abhob, den Joachim Löw bei seinem nächtlichen Vortrag trug. Im Medienzentrum des im St. Jakob-Park von Basel, im Schweizer Sprachgebrauch nur „Joggeli“ genannt, redete der Bundestrainer wie ein Theaterregisseur, der einer fehlerhaften Probe beigewohnt hatte. Dass das 1:1 gegen die Schweiz im zweiten Nations-League-Gruppenspiel demselben Ablauf folgte wie das 1:1 gegen Spanien, schien den 60-Jährigen nicht sonderlich zu überraschen.

Dem guten Anfangsniveau folgte ein schlechtes Ende. „Wenn wir die Dinge umsetzen, haben wir immer gute Aktionen, gewinnen Bälle, bekommen Chancen. Aber wir machen es nicht über 90 Minuten“, konstatierte Löw. „Die Gefühle sind ein bisschen gemischt. Ich habe gesagt, Entwicklung ist wichtig, aber natürlich will man die Spiele gewinnen.“ In sechs Anläufen in dem Wettbewerbsformat Nations League fehlt Deutschland immer noch ein Sieg. Der Abstieg wurde zur Premiere bekanntlich nur durch die Aufstockung der A-Kategorie verhindert.

Löw weiß, dass der Druck steigt, wenn die nächsten Länderspieltermine mit je drei Partien in sieben Tagen anstehen: „Wir werden mit der vollen Kapelle antreten im Oktober und November. Es werden sieben, acht Spieler zurückkommen, die bei uns eine wesentliche Rolle spielen.“ Im Oktober und November werde man richtig angreifen: „Dann werden wir auch Spiele gewinnen.“ Dafür braucht es aber mehr Entschlossenheit, für deren Mangel exemplarisch der noch bei Paris St. Germain spielende Julian Draxler steht.

Ilkay Gündogan sagte, er sei „ein bisschen angepisst“. Grund: „Wir haben Bälle vorne unnötig verloren, die wir festmachen können. So fällt auch das Gegentor, wo wir unbedrängt einen Fehlpass spielen. Auf dem Niveau darf das nicht passen.“ Damit übte der Torschütze zum 1:0 (14.) deutliche Kritik am eingewechselten Julian Brandt, der mit seinem schludrigen Ballverlust das 1:1 durch Silvan Widmer (58.) verschuldete.

Beim Ausflug in die Schweiz hinterließ die DFB-Auswahl zudem aus einem anderen Grund keinen guten Eindruck. Dass der Tross am Samstag die 260 Kilometer von Stuttgart nach Basel im Charterflieger zurücklegte, führte zu viel Kritik in den sozialen Netzwerken.

Eine Anreise mit dem Bus sei aus Regenerationsgründen für die Spieler nicht möglich gewesen, erklärte DFB-Pressesprecher Jens Grittner am Sonntagabend. Der Zug sei wegen der Coronahygieneregeln nicht infrage gekommen, zumal es bei einem Umstieg die Spieler zu viele Kontakte außerhalb des Mannschaftskreises gegeben hätte. Tatsächlich hatte sich der DFB bei der Anreise per Charterflieger an die von der Uefa in deren Hygieneprotokoll gegebene Empfehlung gehalten.

DFB-Direktor Oliver Bierhoff äußerte sich am Montag. Schließlich spielt das Thema Nachhaltigkeit in der Agenda von DFB-Präsident Fritz Keller eine wichtige Rolle. Erst kürzlich stellte er diese mit einem Fünfpunkteplan vor. Bierhoff sagte: „Wir können die kritischen Stimmen nachvollziehen und nehmen die entstandene Diskussion zum Anlass, uns zu hinterfragen, wie wir künftig die wichtigen Aspekte Umwelt und Nachhaltigkeit stärker in unseren Planungen und Entscheidungen berücksichtigen können.“ Eine sehr vorsichtige Formulierung. Mit großer ­Wahrscheinlichkeit wird die DFB-Auswahl zum nächsten Auswärtsspiel am 10. Oktober in der Ukraine nicht mit dem Bus anreisen.

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