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Entschleunigung vor den Punkten

Heute beginnt die Berlin Art Week. Die Galerie Max Hetzler eröffnet die Kunstsaison mit einer alten Meisterin, der Malerei von Bridget Riley

Bridget Riley, Measure for Measure 13, 2017, Acrylic on canvas Foto: Photo: def imageImage © Bridget Riley. All rights reserved.Courtesy of the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris | London

Von Beate Scheder

Zu den wenigen positiven Aspekten, welche die Coronapandemie für die Kunst mit sich gebracht hat, gehört die Begrenzung der Besucher*innenzahl für Galerien und Museen. Für die Malerei jedenfalls, mit der Bridget Riley bereits seit Jahrzehnten von sich reden macht, ist es die bestmögliche Art der Rezeption: fast alleine davor stehen oder sitzen, schauen und dem nachspüren, wie dieses Schauen, dieses Sehen, dieses Wahrnehmen von Streifen und Punkten, von Wellen und Rhomben, von Formen und Farben so vor sich geht.

Das kann man aktuell an allen drei Standorten der Galerie Max Hetzler. Die drei museal anmutenden Ausstellungen sind Hetzlers Beitrag zum Saisonauftakt der Kunst in Berlin, wie ihn in dieser Woche auch die Berlin Art Week und das Gallery Weekend zelebrieren – in abgeschwächter Form ohne großen Menschenauflauf freilich.

Zu sehen sind neue Gemälde der inzwischen 89-jährigen Künstlerin, solche aus den späten Nullerjahren oder dem vergangenen Jahrzehnt, ein paar Wandgemälde sowie einzelne Arbeiten älteren Datums. Das älteste, „Blue Return“, stammt aus dem Jahr 1984, die neuesten entstanden in diesem Jahr. Grandios sind sie allesamt, auch grandios inszeniert. Anreisen konnte Riley angesichts der aktuellen Umstände weder für den Aufbau noch zur Eröffnung, dennoch wurde alles genau nach ihren Vorstellungen gehängt und ausgeleuchtet. Vor allem mit viel Platz.

Bridget Riley wurde in den frühen 1960er Jahren quasi über Nacht mit schwarzweißen hypnotischen Kompositionen bekannt. In ihren vor den Augen flirrenden Bildern fand der Rhythmus der Zeit Widerhall, was so gar nicht einmal von ihr beabsichtigt war. Eher zu ihrem Leidwesen versuchten Design und Mode Rileys Formsprache zu vereinnahmen, zu imitieren, sie selbst konnte nicht einmal der Bezeichnung Op-Art viel abgewinnen.

Erst später kam Farbe in ihrer Kunst hinzu, die sie ab den 1980er Jahren in Streifen auf die Leinwand brachte. Mit den Jahren erweiterte sie ihr Repertoire um flächigere Formen und sanftere Farben. Oder besser gesagt, ihren Untersuchungsgegenstand. Um den bloßen Effekt, um optische Tricks ging es Riley maximal am Anfang ihrer Karriere. Ihre Gemälde gleichen vielmehr Studien, analytisch und intuitiv zugleich, konzeptuell dafür gedacht, den Sehsinn ihres Publikums herauszufordern. Mit bewussten kleinen Abweichungen von Mustern, planvollen Regelbrüchen, kippenden Symmetrien, vermeintlichen Illusionen, die am Ende doch nicht eingelöst werden, mit von der Natur abgeschauten Interaktionen von Licht, Farbe und Kontrast.

Drei ihrer farbigen Streifenbilder hat Riley für die Bleibtreustraße 45 ausgewählt. Großformatig auf Leinwand aufgetragene, parallel nebeneinanderplatzierte Farben, Studien zur Wirkung von Rot und Blau zu anderen Farben, von Räumlichkeit und Licht. Es sind Bilder, die klüger sind als das Auge, vor dem es bei längerer Betrachtung zu flimmern beginnt. Ganz hinten, der letzte Raum, ist dem Wandgemälde „Arcadia 1“ überlassen. „Arcadia 1“ war auch schon 2007 in Rileys erster Ausstellung bei Hetzler zu sehen, Kurven, Wellen, kantige Formen, die den Blick vertikal und diagonal über das Bild leiten, tanzende Farben, gedämpftes Blau, Grün und Ocker auf der weißen Wand, so sieht sie aus, Rileys Interpretation der mythischen Landschaft.

Die beiden Arbeiten, die schräg gegenüber in der Bleibtreustraße 15/16, der erst kürzlich eröffneten dritten Adresse der Charlottenburger Galerie, zu sehen sind, schließen sich daran an. Betrachten kann man sie schon durch die Schaufenster. Da ist „Rêve“ aus dem Jahr 1999 auf der einen, „Joy of Living: Homage to Matisse“ aus 2012 auf der anderen Seite, dazwischen ein Text, in dem Riley von ihrer Beschäftigung mit Henri Matisse, aber auch mit Paul Cézanne berichtet.

Vor diesen noch war es George Seurat – und auch dessen Einfluss lässt sich in der Berliner Schau spüren, Rileys Interpretation des Pointillismus manifestiert sich in ihrer Serie „Measure for Measure“, Gemälde, auf denen sich die Punkte dreidimensional nach außen zu stülpen scheinen, sich in Bewegung setzen, wenn man nur lange genug den Blick auf sie richtet. In der Goethestraße hängen sie kombiniert mit Auszügen aus der Serie „Intervals“, der jüngsten, von weißen Balken unterbrochene Streifen.

Von Entschleunigung war in den vergangenen Wochen und Monaten oft die Rede. Jetzt gaukelt einem der September zwar vor, alles ginge wieder los. Allein für die Malerei Rileys lohnt es sich aber, das langsame Tempo beizubehalten, sich Zeit zum intensiven Schauen zu nehmen.

Galerie Max Hetzler, Bleibtreustr. 45 und 15/16, Goethe­straße 2/3. Bis 24. Oktober

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