75 Jahre Franz Beckenbauer: Der Jagutmermal
Franz Anton Beckenbauer ist am 11. September 75 geworden. Eine Würdigung mit Licht und Schatten in 17 kaiserlichen Kapiteln.
Der F und das Balltreten
F, da ist sich die Fußballforschung einig, brachte die Bewegung eines Balles auf ein neues schwereloses Niveau. Alles war eine einzig geschmeidige Eleganz. Kein Zweikampf, den F nicht zu vermeiden wusste. Schwitzen? Nicht nötig. Die Drecksarbeit machte neben ihm der kantige Katsche Schwarzenbeck, sein Gegenteil und Adjutant.
Der F und die Menschwerdung
Geboren 1945 im Arbeiterkiez München-Giesing, Sohn eines Postobersekretärs, Mutter: Hausfrau. Fensterblick: auf einen Fußballplatz. Später quasi Adoptivkind seines durchtriebenen Managers Robert Schwan, der ihn geld- und geltungsgeil zum ersten Fußball-Popstar formte.
Der F und seine Daten
455 Bundesligaspiele, 60 Tore, circa 37.779 Pässe (mutmaßlich alle angekommen), 13 Majestätsbeleidigungen (9 Auswechslungen, 4 gelbe Karten, kein Rot). Länderspiele: 103 (14 Tore), damals Rekord. Seit den 70ern fast so viele Auslandswohnsitze (Schweiz, Österreich, später USA) wie Titel und Auszeichnungen. Vielfache Steuernachzahlungen. Zweiter Mensch, der als Spieler (1974) und Trainer (1990) Weltmeister wurde (nach Brasiliens Zagallo). Dann wollte er auch noch WM-Organisations-Champion werden. Siehe unten.
Der F und die Beredsamkeit
„Ja mei“, normalbayert er manchmal. „Ja gut, äh …“ sagt er als Antwortanfang öfter, quasi immer. Sein Markenzeichen wurde das abschließende „Schaumermal“ (Smm). Es wurde zum geflügelten Wort, von zahllosen Menschen bis heute inflationär vorgetragen. Bedeutet: Ja, was weiß denn ich? Was wird wohl? Wie geht’s aus? Sehen wir uns wieder? Smm passt immer.
Der F und der Kosmopolitismus
Deutschte den französischen Stürmer des FC Bayern Jean-Pierre Papin grandios ein: als Schangpierpapeng. Differenzierte europäisch: „Die Schweden sind keine Holländer, das hat man ganz genau gesehen.“ Und überblickte auch die Bauarbeiten zur Wüsten-WM 2022: „Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven gesehen in Katar.“
Der F und das Mitleid
1990, als der Trainer F nach dem WM-Gewinn so nachdenklich ikonenhaft über den römischen Rasen wandelte, orakelte er: „Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber diese Mannschaft wird auf Jahre hinaus nicht zu schlagen sein.“ Die Jahre dauerten fast 11 Monate: 0:1 in Wales.
Der F neben dem Platz
Werbeeinsätze für Fleischklößchenbrühe („Kraft auf den Teller …“) inklusive späterer Zuschreibung „Suppenkasper“ (Uli Stein). 1998 für eine Mobilfunkfirma: „Ja, is denn heut schon Weihnachten?“ Gesang: „Gute Freunde …“ Ämter: ohne Ende beim FC Ruhmreich, beim DFB und in der Blatter-Mafia.
Der F und die Monarchie
Der monarchieliebende Deutsche hatte endlich wieder einen Kaiser, den Kaiser Franz. Alle anderen nannten ihn lange Lichtgestalt. Was er anpackte, gelang. Der lässige Überflieger, der Günstling der CSUkratie, Liebling des Boulevards.
Der F und die Taktikweisheiten
Kabinenansprache als Trainer: „Gehts raus und spielts Fußball.“ Und dann? „Ja gut, es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage.“ Niederlagenerklärung: „Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser.“
Der F und das Golfspiel
Seit Jahrzehnten spielt der F Golf, lange auch sehr gut (Handicap 7). Bei Misserfolgen zeigt er seinen jähzornigen Charakter: Nationaltorhüter Oliver Kahn offenbarte mal, dass der F nach einem missratenen Schlag in einen See seine Tasche samt Inhalt hinterhergeworfen hat.
Eine von Fs vielen Ehefrauen hat mal offenbart, warum ihr F so fanatisch golft: Fußbälle haben ihm immer wie blind gehorcht. Den Golfball aber bekommt er nicht so selbstverständlich gebändigt, das mache ihn grantig, also werde er besonders ehrgeizig und versuche es sisyphosesk ohne Unterlass.
Der F und das Eigentor
1975 schaffte er in der Liga in zwei Spielen hintereinander eines, später sogar in seinem Abschiedsspiel (Cosmos New York). Für verbale Eigentore fehlt eine verlässliche Datenbank (und die Rechnerkapazität).
Der F und die Frauen
Gern ließ der Vielfachgeehelichte sich einst eine Nähe zum Buddhismus nachsagen. Tatsächlich hat er mal bekundet, er wolle einstens als Frau wiedergeboren werden. Unklar bleibt, ob er selbst eine Reinkarnation ist? Da hat die F-Forschung noch Lücken. „Vielleicht war ich schon mal da, als Pflanze oder so“, sagt F selbst.
Der F und das Firlen
Firlefranz – das Wort erfand mal der Spiegel. Volltreffer.
Der F und der O
Der große Olli Dietrich parodiert den F seit Jahrzehnten so perfekt und hingebungsvoll („Ja, der Lothar Matthäus, der kann links wie rechts“), dass man ihn, also den O, längst für das Original halten möchte. Dann wäre der F lediglich ein billiger Klon seiner selbst und seines Doubles „Schorsch Aigner – Der Mann, der Franz Beckenbauer war“. Dieser Film von 2015 ist zum Weinen schön.
Der F und das Wetter
Mit Beginn der WM 2006 lachte der Himmel ohne Pause. Man schrieb es wie selbstverständlich dem Organisationschef F zu. Ja mei, der ist sogar Herrscher über Hochs und Tiefs. Das Kaiserwetter endete gleich nach dem Finale.
Der F und die Magie
Fs Sommermärchen 2006 half, dass die Welt dieses Deutschland weniger hässlich empfand. Doch schon beim schön-tragischen Aus (wieder, wie 1970) gegen Italien hakte die kaiserliche Magie, denn der 4. Juli galt bis dahin als Triumphgarantietag im deutschen Fußball (WM-Sieg 1954, WM-Halbfinale gegen England 1990).
Der F als Märchenonkel
Stimmenkauf, Korruption, Lügen, Gier: Der Schöpfer des Sommermärchen wirkte offenbar vielfach sehr unlauter. Die Wahl der WM 2006 als auch das Geschacher um die Austragungsstaaten Russland und Katar waren offenbar scheckbuchgelenkt. Zudem sahnte F als Schein-Ehrenamtlicher saftig ab. Vor Gericht landete er nicht: Ja gut, die Gesundheit, allerlei Atteste. F verzog sich schweigend in sein Kitzbüheler Exil. So wurde die Lichtgestalt zum Dunkelmann. Gute Freunde kann niemand trennen? Deutschland ist auf Distanz gegangen von einem, dem über 50 Jahre alles gelang. Heute wird der einsame F 75. Ja mei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen