Berliner Underground-Kunstszene: Die Vielfältigkeit eines Tons
Das Projekt Present Square ist mehr als nur eine Band. Ihre krautig-minimalistische Musik verbinden die MacherInnen mit Kunstprojekten.
Es gibt diesen merkwürdigen Effekt, dass Covid-19 und der folgende Lockdown, die Regeln des Social Distancings also, und die neue Dringlichkeit, sich über digitale Kanäle miteinander zu verknüpfen, um das überhaupt weiterhin tun zu können – dass all das die Dinge in einem anderen Licht erscheinen lässt. Kunst zum Beispiel, Texte oder Musik. So ist es auch bei dem Song „Ich frage“ der Berliner Band Present Square der Fall.
Eigentlich gab es den Song schon längst, bevor die Pandemie um sich griff. Tatsächlich hätte die Single, auf der „Ich frage“ gemeinsam mit einem zweiten Song kürzlich erschienen ist, sogar im März auf einer Tour präsentiert werden sollen, zu der es freilich nicht kam und von der noch die Rede sein wird.
Inhaltlich aber kommt man nach den Wochen der Isolation und den damit verbundenen nicht nur technisch bedingten Verständigungsschwierigkeiten kaum umhin, die sogenannte neue Normalität beim Hören mitzudenken: „Ich frage dich/ Kannst du nicht?/ Ruf dich/ Hörst du nicht/ Such dich/ Siehst du nicht/ Bezwing dich / Schaffst du nicht / Aber ich frage Dich/ Kannst du nicht?!“, heißt es im Text.
Miteinander sprechen, sich verstehen, wie soll das auch reibungslos funktionieren, wenn man kaum mehr zusammenkommt? Für Present Square steht das Thema Kommunikation, besser gesagt fehlgeleitete Kommunikation, aber schon länger im Fokus, seit Anfang an quasi.
Bis aufs Äußerste reduzierte Musik
Ein wenig in die Irre führt aber auch alles bisher Geschriebene: Present Square ist zwar eine Band, aber nicht nur. In ihrem gemeinsamen Studio in der Charlottenburger Goethestraße klären die Musikerin Lorina Speder und der Künstler Milo Frielinghaus, aus denen sich das Projekt zusammensetzt, darüber auf. Die beiden machen unter dem Namen Present Square zusammen Musik, krautige, etwas aus der Zeit gefallene, gerade deshalb aber hörenswerte, bis aufs Äußerste reduzierte Musik.
Und sie machen zusammen Kunst. Videokunst zum Beispiel. „Movement“ heißt eines ihrer Unterprojekte, für das Speder und Frielinghaus stumme Bewegtbilder von Musiker*innen aufnehmen. Die Dynamik von Musik visuell übertragen sollen die Videos, die vergangenen Herbst in der Weddinger Wiesenburg zu sehen waren.
Present Square: „Ich frage. Ich sehe“ (Present Square)
Auch sonst läuft bei Present Square vieles etwas anders als bei anderen Formationen. Die Band, welche die Songs einspielt, ist beispielsweise eine andere als die, welche bei Konzerten auf der Bühne steht. Zu tun hat das mit einer Idee von Präsenz, die bereits im Namen anklingt. Analoge, direkte Präsenz ist gemeint, der Moment der Vergegenwärtigung, der im Studio eben ein anderer ist als vor Publikum. Kennengelernt haben sich Speder und Friedlinghaus Ende 2014.
Anfangs ging es bei Present Square nur um die Musik, dann entwickelte es sich „in einem natürlichen Prozess“, so Speder, in Richtung Kunst. Konzeptuell ist ihr Ansatz in der Kunst wie in der Musik – und extrem minimal, extrem präzise. „Bei einer Idee bleiben, fertig“, so fasst Frielinghaus zusammen, worauf es ihnen etwa beim Komponieren ankomme.
Von der Fan-Mail zur Vorgruppe
Wobei komponieren in seinem Fall auch einfach die Wahl eines einzigen Tons sein kann, den er dann im Song durchgängig spielt. Speder und Frielinghaus arbeiten zunächst einzeln an ihren jeweiligen Spuren, Speder an Gitarre und Gesang, Frielinghaus am Bass. Dann kommt Jari Haapalainen am Schlagzeug dazu und im Proberaum und Studio alle drei zusammen.
Bei Liveauftritten übernehmen zwei Musikerinnen die Parts von Frielingshaus und Haapalainen. Ganz bewusst: „Da sieht man dann die Vielfältigkeit von ein oder zwei Tönen,“ sagt Frielinghaus und meint damit unter anderem die Art des Anschlags, die Energie, die sich darüber überträgt. Zu hören gewesen wäre das im März in Italien, wenn nicht dieses Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.
Zu dieser Tour sei es „auf sehr unkonventionellem Weg“ gekommen, erzählt Speder mit einem Lächeln, das so wirkt, als könnte sie immer noch nicht ganz glauben, was passiert war. Nämlich das: Damo Suzuki, von 1970 bis 1973 Sänger der Band Can, inzwischen auf Solopfaden unterwegs, wollte sie als Vorgruppe auftreten lassen.
Speder hatte ihm kurz zuvor eine E-Mail geschrieben, eine Fan-Mail quasi, darin aber auch die eigene Band erwähnt und vorgeschlagen, ihn mit dieser zu unterstützen. Dann ging alles ganz schnell. Der italienische Promoter meldete sich, und sie wurden gebucht – unterstützt vom Musicboard Berlin.
„Die Tour war das Wichtigste“, sagt Speder und verbessert sich sogleich: wäre das Wichtigste gewesen. Anfang März, sechs Termine in Italien. Alle abgeblasen, beziehungsweise nun – vielleicht – in den November verschoben. Als kleinen Ersatz gab es immerhin ein Konzert Ende April im Petersburg Art Space in Moabit – ein Streamingkonzert, das nach draußen übertragen wurde. Ein weiteres in diesem Jahr, ein richtiges, wäre schön, sagt Speder. Vielleicht haben sie ja noch mal Glück.
Transparenzhinweis: Lorina Speder schreibt als freie Autorin auch für die taz.
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