das ding, das kommt: Blanke Haut
Nackt ist nicht gleich nackt: Der britische Kunsthistoriker Kenneth Clark formulierte Mitte des 20. Jahrhunderts einen fundamentalen Unterschied zwischen der künstlerischen Darstellung von Nacktheit – und Nacktheit selbst. „Nackt“ transportiert Clark zufolge einiges von der Peinlichkeit mit, von der Scham, den dieser Zustand bewirkt: seiner Kleider entledigt zu sein (aber, so möchte man hinzufügen: dabei auch noch gesehen zu werden). Dem „Akt“ hingegen hafte kein solcher unbehaglicher Beiklang an.
Wie ein ebenfalls britischer Fachkollege, John Berger, herausgearbeitet hat, ist die Darstellung des Nackten häufig die Darstellung der Nackten: Nacktheit in der Kunst ist gerne die Nacktheit von Frauen. Ein Effekt: Die erst mal akademisch wirkende Frage nach „naked“ versus „nude“ (und ob letzteres, also der Akt, schon wieder eine Form des Bekleidetseins ist) wird zu einer nach echtem Entblößtsein und realer Scham. Und so wird heute wieder verstärkt darüber diskutiert, ja: gestritten, was so alles an kanonisierter Nacktheit in den Museen hängt oder gebunden wird zwischen Buchdeckeln.
Wem zu so einer feministisch motivierten – männliches Bickregiment und weibliche Objekthaftigkeit thematisierenden – Diskussion nur die frommen Bilderverbote in autokratischen Gottesstaaten einfallen: Hat der vielleicht einfach zu viel Zeit damit verbracht, sich an nackten Minderjährigen in Öl zu ergötzen?
Ein Hinweis auf etwas andere Akte ging dieser Tage in der Hamburger taz-Dependance ein: Die Wahlhamburgerin Susanne Kleiber wies hin auf eine anstehende Ausstellung: Weil die Coronakrise sie zahlreiche Aufträge gekostet habe, unter anderem lehrt Kleiber – Aktzeichnen. Nun also machte sie aus der Freiberuflerinnen-Not eine, tja, Tugend. Beziehungsweise eine „Coronik“: Bilder aus dem und über das Leben unter Pandemie-Bedingungen – auf Zeit-Seiten. Alexander Diehl
Die Coronik: 1. bis 31. August, Hamburg, Kunstgalerie in der Gänsemarktpassage. Die Künstlerin plant dienstags bis donnerstags von 14 bis 18 Uhr anwesend zu sein
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen