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Freiheit: ungewiss

Bis ihr Fall erneut geprüft wird, dauert es für einige Verurteilte in Bremens Forensik viel länger als gesetzlich vorgesehen. Wer einen Beschluss erfolgreich anfechtet, wartet sogar noch länger

In Bremen sitzen Verurteilte oft zu lang Foto: Bernd Thissen/dpa

VonLotta Drügemöller

Herr S. hat seine Strafe abgesessen. Zu zwei Jahren Haft wegen Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt hatte ihn das Landgericht Bremen verurteilt, 2016 war das. Doch in Freiheit ist S. noch immer nicht, und wann, ja sogar ob er es mal wieder sein wird, das weiß momentan niemand. S. gehört zu den etwa 6.300 Menschen in Deutschland, die nach einer Straftat in einer forensischen Psychiatrie untergebracht werden – wegen einer diagnostizierten psychischen Störung gelten sie als gefährlich und behandlungsbedürftig. Nun hat das Landgericht Bremen seit mehr als zwei Jahren nicht mehr über den Fall von S. entschieden; spätestens im Juli 2019 hätte das aber eigentlich so weit sein müssen.

Die Unterbringung in der Forensik ist gesetzlich unbefristet, theoretisch kann sie lebenslang weitergehen. Ihr Ziel ist ausdrücklich nicht Strafe, sondern „Besserung“ (der Patient*innen) und „Sicherung“ (der Gesellschaft außerhalb der Mauern). Ein riesiger Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit bleibt die forensische Unterbringung dennoch; jedes Jahr muss deshalb vom Gericht geprüft werden, ob es noch Gründe für den Freiheitsentzug gibt.

Genau diese Prüfung passiere in Bremen viel zu spät, beklagt der Rechtsanwalt Sven Sommerfeldt. Er vertritt mehrere Mandanten, die in der Forensik sitzen. Neben Herrn S. nennt Sommerfeldt gleich drei weitere Fälle, bei denen das Landgericht die Jahresfrist habe verstreichen lassen, mal um ein paar Monate, mal um ein ganzes Jahr.

Bei zwei der Betroffenen hat die Verzögerung ausgerechnet damit begonnen, dass sie Recht bekommen haben: Das Oberlandesgericht hatte zwei Beschlüsse des Landgerichtes zur weiteren Unterbringung als schlecht begründet aufgehoben. So etwa im September 2018 im Fall von Sommerfeldts Mandanten F.; der Beschluss zu seinem Fall war im Mai 2018 gefällt worden. Doch statt nun nach der Aufhebung die Prüfung schnell und korrekt zu wiederholen, habe sich das Landgericht sehr viel Zeit genommen, so stellt Sommerfeldt es dar.

Erst Ende Mai 2019 wurde F. das erste Mal im Beschwerdeverfahren angehört – zu diesem Zeitpunkt hätte es eigentlich schon eine neue, reguläre Prüfung geben müssen. Stattdessen dauerte es am Ende noch bis zum 22. Januar 2020, bis endlich entschieden wurde.

Im Landgericht sieht man die Sache anders und die Schuld bei den Anwälten der Betroffenen. Die geschilderten Fälle seien allesamt durch zahlreiche Faktoren verzögert worden. Es habe mehrfach konkrete Anhörungstermine gegeben, die auf Wunsch des Verteidigers verlegt werden mussten; dazu seien mehrere Anträge auf Befangenheit der Richter gestellt worden.

„Die Kammer ist gesetzlich verpflichtet, die Akten zunächst einer anderen Kammer zur Entscheidung über die Befangenheitsanträge vorzulegen, bevor sie weitere Entscheidungen und Veranlassungen in der Sache selbst treffen darf“, erklärt Richter Jan Stegemann.

Teilweise seien in Verfahren vier aufeinanderfolgende Anträge gestellt worden. „Ich konnte keiner der Akten entnehmen, dass diese über mehrere Tage unbearbeitet gelegen hätte“, sagt Stegemann.

„Es läuft darauf hinaus, dass man alles vom Gericht akzeptieren soll, egal wie krass die Fehler in Beschlüssen sind“

Sven Sommerfeldt, Rechtsanwalt

Das Oberlandesgericht verweist ebenfalls auf die Unwägbarkeiten von Prozessen, um zu erklären, warum es dem Landgericht keine Frist setzt: Fristüberschreitungen seien „auch bei sorgfältiger Verfahrensführung nicht immer vermeidbar“, so Gerichts-Sprecher Peter Lüttringhaus.

Sommerfeldt leugnet nicht, dass in Einzelfällen auch seine eigenen Anträge zur Verzögerung beigetragen haben könnten. Den Fehler sieht er aber im System: „Wenn das Recht auf Beschwerde im Erfolgsfall dafür sorgt, dass Betroffene noch später wieder überprüft werden, als das ohne den Erfolg der Fall gewesen wäre, dann läuft das darauf hinaus, dass man alles vom Gericht akzeptieren soll, egal wie krass die Fehler in Beschlüssen sind“, sagt er. „Das ist eine Verächtlichmachung des Rechts.“

Im Übrigen wisse man, dass ein Beschluss über die Fortdauer der Unterbringung ein komplizierter Prozess sei: Gutachten müssen dafür erstellt, Sachverständige gehört und Stellungnahmen abgegeben werden. „Das Gericht muss eben rechtzeitig anfangen“, sagt Sommerfeldt.

Bei einem der vier verzögerten Fälle wurde übrigens am Ende entschieden, dass eine Unterbringung nicht mehr nötig ist. Eigentlich eine gute Nachricht – und dennoch bitter: „ Er hätte ja“, so Sommerfeldt, „Monate früher draußen sein können.“

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