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Chormusik aus dem 20. JahrhundertMickymaus-Mystizismus? Aber nein!

Arvo Pärt gilt als einer der schroffsten Komponisten unserer Zeit. Ein neu aufgelegtes Album präsentiert seine Chorwerke aus der Wendezeit.

Maestro? Ja! Micky-Maus? Nein! Arvo Pärt Foto: dpa

Manche Komponisten haben das Pech, dass ihnen der Erfolg ge­neidet wird. Die Frage, ob ihre Musik dem Publikumszuspruch ästhetisch gerecht wird, gerät darüber fast zur Nebensache. Hauptsache, es gibt Leute, die sagen, er tauge nichts. Beim Esten und jahrzehntelangen Wahlberliner Arvo Pärt etwa war es so, dass sich das Diktum seines weniger erfolgreichen, US-amerikanischen Kollegen Harold Budd mir ins Gedächtnis gebrannt hat, Pärts Musik sei „Mickymaus-Mystizismus“.

Zugegeben, die dreifache Alliteration ist so catchy, dass sie praktisch jedes Argument überflüssig macht. Die Frage, ob der Einwand trägt, interessiert dann einfach nicht mehr. Und persönlich war der Zugang zu Arvo Pärts Musik auch nicht derart, dass er von Anfang an offene Ohren eingerannt hätte.

Eine kleine Erinnerung aus dem Gymnasium: Im Musikunterricht sollte der gesamte Kurs einmal besondere Schallplatten vorstellen. Eine Schulfreundin hatte eine noch recht neue Platte mitgebracht, „Tabula Rasa“ von Arvo Pärt, die 1984 den Auftakt des ECM-Unterlabels ECM New Series machte. Für die überwiegende Mehrheit der Mitschüler klangen die dünnen Streicherklänge der zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker im Hörbeispiel „Fratres“ jedoch unattraktiv spröde. Die Schulfreundin war über die Reaktionen etwas verschnupft.

Arvo Pärt, 1935 im estnischen Paide geboren und 1980, nach Repressalien durch das sowjetische Regime, über den Umweg von Wien als DAAD-Stipendiat nach Westberlin emigriert, kann als einer der zugänglichsten und zugleich schroffsten Komponisten des 20. und inzwischen auch 21. Jahrhunderts gelten. In den sechziger Jahren war er noch mit Avantgarde-Kompositionen nach serialistischen Prinzipien angeeckt. Anfang der Siebziger trat er der russisch-orthodoxen Kirche bei und gönnte sich eine Auszeit als Tonsetzer.

Glocken klingen bei ihm in Dreiklängen

Während dieser Pause entwickelte er seinen im Grunde bis heute für ihn prägenden Ansatz. Gregorianik, mittelalterliche Polyphonie und Renaissance-Musik waren ein großer Einfluss für seinen „Tintinnabuli-Stil“. Die Glocken klingen bei ihm in Dreiklängen, statisch und dennoch fließend. In seinen Stücken für Soloinstrumente wie Klavier, in seiner Kammermusik, aber auch in großen Vokalwerken wie der „Passio Domini nostri Jesu Christi secundum Joannem“ von 1982 kann man die tintinnabuli, wie die Glockenspiele auf Latein heißen, als Strukturprinzip deutlich erkennen.

Das Album

Arvo Pärt: „Works For Choir“ (Cugate Classics)

In den soeben in remasterter Form wieder aufgelegten „Works For Choir“ mit dem Vilnius Municipal Choir Jauna Muzika unter der Leitung von Vaclovas Augustinas kann man das, in Miniaturform, wenn man so möchte, ebenfalls nachhören. Die Schallplatte versammelt Chorstücke aus der Zeit zwischen 1989 und 1991, Pärt komponierte in einem hochgradig bewegten Berlin. Die Umbrüche, die das Ende der Teilung der Stadt samt den bekannten Folgen mit sich brachte, finden in seiner Musik gleichwohl kein vernehmliches Echo.

Man erlebt vielmehr eine strenge spirituelle Ruhe, die harmonisch wirkt, selbst da, wo Pärt Dissonanzen eingebaut hat. Ganz sicher ist dieser Zugang zu religiösen Themen von der Tradition der frühen mehrstimmigen geistlichen Musik geprägt. Vom Avantgarde-Gedanken hat sich Pärt eindeutig verabschiedet. Historisch hatte sich die Avantgarde als Paradigma damals aber ohnehin weitgehend erledigt.

Man hört in diesen Stücken allerdings auch anderes als die „westliche“ sakrale Tradition. In den teils einminütigen „Sieben Magnificat-Antiphonen“ nach den sogenannten „O-Antiphonen“ der katholischen Liturgie, mit denen die Schallplatte schließt, kommen hier und da rauere Töne ins Spiel. Das Auftragswerk des Rias Berlin schrieb Pärt für das 40. Jubiläum des Rias Kammerchors. „O Adonai“, die hebräische Anrufung des Herrn, setzt sehr tief unten mit kehlig brummenden Männerstimmen an, höhere Lagen übernehmen lediglich die Tenöre.

Meistens greift Pärt auf den vollen Chor zurück. So im eröffnenden volltönenden „O Weisheit“, das auf dem Plattencover lustigerweise „O Weisibett“ geschrieben wird, wie auch im abschließenden, zart sich himmelwärts hebenden „O Immanuel“. Mickymaus hätte nach diesen knapp vier Minuten Lobgesang vermutlich längst die Geduld verloren.

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