Die Wahrheit: Wurst aus dem Homeoffice
Nach dem Schweinegipfel mit den Fleischbaronen haben alle Beteiligten eine Lösung gefunden für die große Schlachtkrise.
Die Ereignisse der letzten Wochen haben zu einem großen Umdenken in der Fleischindustrie geführt. Immer wieder waren in Schlachthöfen neue Corona-Ausbrüche verzeichnet worden. Die Ursachen dafür waren vielfältig. Laut Unternehmenssprecher der Firma Tönnies, Armin Laschet, der nebenberuflich auch als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen tätig ist, waren diese Fälle allesamt auf unverantwortliche Reisetätigkeiten der Mitarbeiter zurückzuführen.
Diese fuhren heimlich zu ihren Familien in Rumänien, Ungarn und Bulgarien und brachten so das heimtückische Virus von dort mit ins beschauliche Ostwestfalen, wo man sonst außer Masern und Husten keinerlei ansteckende Krankheiten kennt. Das schon überwunden geglaubte Virus ist zurück mit allein über 1.500 Infizierten im Mitarbeiterkreis der Firma Tönnies.
Die unaufgeklärte Öffentlichkeit suchte nun die Verantwortlichen am Corona-Ausbruch an falscher Stelle, nämlich in der Unternehmensleitung, was völliger Quatsch ist, denn die Familie Tönnies reist grundsätzlich nicht nach Rumänien, Ungarn oder Bulgarien und kann die Corona-Erreger daher auch gar nicht eingeschleppt haben.
Tönnies werden plötzlich unzumutbare Arbeitszustände vorgeworfen, man spricht sogar von modernem Sklaventum, aber wenn es das dort wirklich gäbe, hätte man das Unternehmen doch nicht jahrzehntelang gewähren lassen. In sogenannten Massenunterkünften werden den Arbeitern für einen Schlafplatz im Stockbett in Sechsbettzimmern 250 Euro direkt vom Lohn abgezogen. Hier liegen verschiedene Fehleinschätzungen vor: Erstens kann man sechs Personen nicht als Masse bezeichnen, und zweitens, wenn das stimmte, wäre das Mietwucher und den hätten weder der Bürgermeister von Rheda-Wiedenbrück, Theo Mettenborg (CDU), noch der Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) oder der Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zugelassen.
Aufgebaut haben das delikate Schlachtimperium die Brüder Tönnies, mit Verdiensten nicht nur in der Region, sondern sogar im fernen Gelsenkirchen. Der ältere Bernd allerdings ist viel zu früh gestorben, um das Desaster heute angerichtet zu haben. Das schiebt man nun dem Bruder Clemens in die Schuhe, der schon genug Probleme mit den undankbaren Kindern seines verstorbenen Bruders hat.
Neues Konzept in der Krise
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) lud vorige Woche ein zu einem „Schweinegipfel“ nach Düsseldorf. Dass sie dabei vergessen hatte, zu Anfang auch Arbeitnehmervertreter einzuladen, kann man ihr nicht vorwerfen, die meisten Tönnies-Mitarbeiter sind gar nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Sie sind ohnehin nur bei Subunternehmern beschäftigt, viele sprechen nicht einmal Deutsch, von manchen sind weder Adressen noch überhaupt Daten vorhanden. Wen also hätte man stellvertretend einladen sollen?
Zusammen mit den Landwirtschaftsministerinnen von NRW und Niedersachsen, Ursula Heinen-Esser (CDU) und Barbara Otte-Kinast (CDU), entwickelte Julia Klöckner auf dem im Ministerium salopp „Mortadella-Gipfel“ genannten Treffen ein neues Konzept für die künftige Wurst- und Fleischwarenproduktion. Julia Klöckner wörtlich: „Wir wollen lernen aus der Coronakrise. Was andere Branchen können, das können wir auch. Das Stichwort lautet: Homeoffice!“
Clemens Tönnies ergänzte: „Ich komme aus dem ländlichen Raum. Ich bin groß geworden mit Hausschlachtung und Trichinenbeschau. Da müssen wir ansetzen. Die Vergangenheit ist unsere Zukunft!“
Unabhängigkeit des Schlachtindividuums
Unternehmenssprecher Armin Laschet führte aus: „Wir müssen gesamteuropäisch denken. Das Ziel ist eine größere Unabhängigkeit des Individuums. Wir fördern die Selbstständigkeit. Jeder Tönnies-Mitarbeiter kann und soll nun sein eigener Chef werden. Diese Ich-AGs ermöglichen den Arbeitnehmern als Unternehmer neue Perspektiven. Das Kleinunternehmertum kann den kritischen Aspekten der Massentierschlachtung entgegengesetzt werden.“
Praktisch funktioniert es so. Tönnies liefert die Tiere schlachtfertig zu Mitarbeitern direkt nach Haus, die dort in Eigenregie schlachten, wursten und verpacken. Egal ob sie in Polen, Rumänien, Ungarn oder andernorts wohnen. Das ist mobiles Arbeiten im Homeoffice bei freier Zeiteinteilung. Das wiederum erhöht die Work-Life-Balance erheblich. Am nächsten Tag holt der gleiche Transporter die frischen Fleisch- und Wurstwaren wieder ab.
„Ein Mann zerlegt künftig das ganze Schwein“, schloss Julia „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ Klöckner die Pressekonferenz: „Dadurch bannen wir die Ansteckungsgefahr und minimieren die Risiken für eine weitere Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland.“
Als wichtigstes Ergebnis des Schweinegipfels wird Clemens Tönnies für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!