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Ausstellung im Museum Frieder BurdaDie geretteten Bücher

Annette Kelms Fotoserie „Die Bücher“ erinnert an die nationalsozialistische Bücherverbrennung im Mai 1933. Die Bildsprache ist klar und nüchtern.

Installationsansicht Annette Kelm, Die Bücher Foto: Thomas Bruns/Salon Berlin

Die Buchcover scheinen vor dem Weißraum, der sie umgibt, zu schweben – sacht umfasst von den schmalen Leisten eines weißen Rahmens. Er misst immer 70 x 52,5 cm, während die Cover selbst im Format unterschiedlich, dabei aber alle gegenüber ihrer Vorlage etwas vergrößert sind.

Typografie und grafische Gestaltung haben eine große Bandbreite, wobei eine expressive oder konstruktivistische Formensprache, Kleinschreibung und rasante Fotomontagen deutlich auf die 1920er und 1930er Jahre verweisen. In der bunte Reihung sitzt dann ein weinendes Baby im Topf, während anderswo eine Giraffe im Meer schwimmt und ein Segelboot hinter sich herzieht.

Würde der Buchdeckel umgeschlagen, träfe man im einen Fall auf politische Gedanken und Gedichte von Kurt Tucholsky, im andern auf ein „Kinder-Verwirr-Buch“ von Joachim Ringelnatz mit vielen Bildern und Gedichten wie diesem: „Der Klapperstorch hat krumme Beine. Die Kinder werfen ihn mit Steine. Aber Kinder bringt er keine.“

So unterschiedlich Inhalt und Genre der durch ihren Titel repräsentierten Bücher sind und so unterschiedlich der Bekanntheitsgrad ihrer Autoren ist, heißen sie nun Vicky Baum, Alice Berend, Heinz Faldi oder Johannes R. Becher, eines eint sie: sie alle gehören zu den verbrannten Büchern, den von den Nationalsozialisten aus den Büchereien und Bibliotheken verbannten Büchern.

Aufnahmen von rund 160 Buchcovern

Annette Kelm, bekannt für ihre kühl-konzeptuell verfremdeten Stillleben, hat die noch verbliebenen Exemplaren gesucht und so die Vorderansicht von rund 160 Büchern fotografiert, immer im identischen Abstand und immer mit dem identischen Licht, das für den schmalen Schlagschatten am rechten Rand der Buchdeckel sorgt.

Dieser Schlagschatten und der neutral weiße Hintergrund, dazu die leichte Vergrößerung der Bucheinbände mögen den Eindruck ihres Schwebens hervorrufen. Gleichzeitig sind die Aufnahmen aber gestochen scharf, die Bildsprache ist klar und nüchtern.

Die Ausstellung

Annette Kelm „Die Bücher“ läuft noch bis zum 24. Oktober im Museum Frieder Burda, Salon Berlin

So wie sie uns die Restexemplare präsentiert, feiert Annette Kelm mit ihrer Serie „Die Bücher“ also die Überlebenden, die Zeitzeugen einer liberalen, aufgeklärten, intellektuell wachen, politisch und sozial engagierten, gleichzeitig vom technischen Fortschritt und Komfort faszinierten Großstadtkultur.

Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, setzten sie bekanntlich alles daran, diese urbane Gesellschaft zu zerstören. Die am 10. Mai 1933 von nationalsozialistischen Studenten organisierte Verbrennung von rund 30.000 Büchern auf dem Opernplatz in Berlin bedeutete nicht nur den Auftakt zur Gleichschaltung der öffentlichen Meinung, sondern auch zur Verfolgung und Vernichtung der verfemten Autoren und Autorinnen.

Die konkreten Bücher, frisch aus der Druckerpresse

Über sie wird ja gerne gesagt, in ihren Büchern hätten sie den Nationalsozialismus, die Konzentrationslager und den Holocaust überlebt, und man meint damit ihre Texte, die, nachgedruckt und neu aufgelegt, fortleben. Die konkreten Bücher meint man nicht, die, die sie – frisch aus der Druckerpresse gekommen – stolz und nach geleisteter Anstrengung sicher auch erleichtert in der Hand hielten und die sie später in den Buchhandlungen signierten.

Steht man nun vor den 50 Fotografien, die Annette Kelm in Berlin zeigt, kann man die großartige Idee nicht genug rühmen, just diese Bücher mit ihren Spuren von Abnutzung und Schändung in den Fokus zu rücken und mit ihrem Porträt auch das ihrer Schöpfer und Schöpferinnen heraufzurufen.

Wie könnte man schneller ein Bild des Schriftstellers Erich Kästner bekommen als durch die telefonierende Giraffe mit dem Elektrostaubsauger, die der Illustrator Walter Trier auf den Deckel ihres gemeinsamen Bilderbuchs „Das verhexte Telefon“ von 1931 setzte?

Die Erfahrung der geradezu persönlichen Ansprache der Fotografien rührt auch vom Ort der Ausstellung her, dem Salon Berlin in der Auguststraße.

Die schlichte Hängung in den Klassenzimmern der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule – in der sich die Außenstelle des Frieder Burda Museums aus Baden-Baden ganz bewusst angesiedelt hat – lässt ein Gefühl der Verletzlichkeit aufkommen, verstärkt noch durch die trügerische Idylle von munterem Vogelgezwitscher, das durch vereinzelt geöffnete Fenster dringt, am sonnigen Besuchstag.

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