: Proteste gegen die Gewalt
Für 8 Minuten und 46 Sekunden riefen Demonstrant*innen in Brasilien am vergangenen Wochenende: „Ich kann nicht atmen, ich kann nicht atmen, ich kann nicht atmen …“ So lange dauerte der Todeskampf des schwarzen US-Amerikaners Georg Floyd, der in Minneapolis von Polizisten getötet worden war. Afrobrasilianer*innen und Favelagruppen gingen in verschiedenen Städten auf die Straße. Eigentlich hatten Fußball-Ultras zu Protesten aufgerufen. Seit Wochen demonstrieren diese gegen die Putschdrohungen der rechten Bolsonaro-Regierung.
Die Bilder aus den USA brachten für viele Schwarze in Brasilien das Fass zum Überlaufen. Allerdings: Die Wut kommt von der täglichen Polizeigewalt im eigenen Land. Nirgendwo tötet die Polizei so oft wie in Brasilien – 5.804 Opfer waren es allein im vergangenen Jahr. 75 Prozent von ihnen waren schwarz. Damit werden Afrobrasilianer*innen in Brasilien dreimal so häufig getötet wie Weiße.
Besonders dramatisch sieht die Situation in Rio de Janeiro aus: Dort tötete die Polizei im Jahr 2019 1.810 Menschen – so viele wie niemals zuvor. Zum Vergleich: In den USA starben im selben Zeitraum 993 Menschen durch Polizeigewalt – die USA haben aber 20-mal so viele Einwohner*innen wie der Bundesstaat Rio de Janeiro.
In keiner anderen brasilianischen Stadt starben so viele Menschen durch Polizeigewalt wie in Rio, im Durchschnitt sind es fünf Personen am Tag. Doch die örtliche Polizei tötete nicht nur landesweit am häufigsten, ihre Beamten starben auch am häufigsten bei Einsätzen.
Im April 2020 tötete die Polizei 177 Menschen im Bundesstaat Rio de Janeiro. Das ist ein Anstieg um 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat und der zweithöchste Wert in der Geschichte. Die Situation eskalierte in der Coronakrise so sehr, dass ein Richter des Obersten Gerichtshofs Anfang Juni entschied, dass Polizeieinsätze während der Pandemie nur noch in „absoluten Ausnahmesituationen“ erlaubt sind.
Aktivist*innen und Favelabewohner*innen befürchten jedoch, dass die Polizeigewalt nicht enden wird. In den kommenden Wochen sollen weitere Proteste stattfinden – trotz Corona. Niklas Franzen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen