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Wenn Firmen das Recht selbst aussuchen

GLOBALISIERUNG Moritz Renner wird neuer Professor für transnationales Wirtschaftsrecht in Bremen. Schon heute sorgen Verfahren wie die außergerichtliche Streitbeilegung dafür, dass Regeln sich jenseits von Staaten bilden

VON JOHANN LAUX

Ist es bedenklich, wenn Unternehmen ihre internationalen Streitigkeiten nicht mehr vor Gerichten ausfechten, sondern diskret von selbst bestellten Schiedsrichtern lösen lassen? Eine gute Frage. So gut, dass sie Moritz Renner eine Juniorprofessur für transnationales Wirtschaftsrecht an der Uni Bremen eingebracht hat.

Plötzlich Professor – mit gerade einmal 31 Jahren hat Renner eine der begehrten Lichtenberg-Professuren der Volkswagenstiftung errungen. Mehr als eine Million Euro ist der Stiftung seine Forschung in den kommenden fünf Jahren wert. Nach Florian Jeßberger, der heute an der Uni Hamburg lehrt, ist Renner erst der zweite Jurist, der die unter WissenschaftlerInnen aller Fachrichtungen hart umkämpfte Förderung erhalten hat.

„Bislang fehlte dem transnationalen Recht eine institutionelle Form“, sagt Renner. Sein Forschungsfeld lasse sich eben nicht gut in die klassischen Juristenfächer des Privatrechts, Öffentlichen Rechts und Strafrechts einordnen. Nicht national und nicht international – im transnationalen Recht treten neue Akteure auf, die neben dem Staat Recht setzen. Internationale Unternehmen schaffen ihre Regeln selbst, teils mit und teils ohne staatliche Beteiligung. Im historischen Nationalstaat hätten sie als Private dazu gar keine Kompetenz. Aber die globalisierte Wirtschaft verändert auch das Recht.

VW und das Völkerrecht

Renner erklärt das am Beispiel von VW: „Eine deutsche Aktiengesellschaft mit hunderten Töchtergesellschaften auf der ganzen Welt, die alle dem jeweiligen nationalen Recht unterstehen.“ Während die Einzelgesellschaften von nationalen Rechtsordnungen erfasst werden, sind diese auf den Konzern als Ganzes nicht mehr anwendbar. Das Völkerrecht hinkt dieser Entwicklung hinterher, weil es nur zögerlich Firmen die nötige Völkerrechtssubjektivität verleiht.

Darf die Weltwirtschaft daher ihr Recht einfach selbst schaffen? Dass sie dies tut, steht außer Frage. Allein vor dem Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris sind im letzten Jahr 796 Anträge auf Durchführung eines Schiedsverfahrens eingereicht worden. In weit mehr als zwei Dritteln der Fälle lag der Streitwert bei über einer Million US-Dollar.

Die überwiegende Zahl internationaler Handelsstreitigkeiten wird heute abseits staatlicher Gerichte beigelegt. „Ich rate meinen Mandanten immer dazu, eine Klausel zu außergerichtlicher Streitbeilegung in die Verträge aufzunehmen“, sagt Anna Engelhard-Caldwell, Anwältin aus Hamburg mit Zulassung in Deutschland und den USA. Rasch zählt sie die Vorteile von Schiedsverfahren auf: Im Vergleich zu staatlichen Gerichten sind sie schneller und billiger, die Parteien haben Einfluss auf die Wahl der Schiedsrichter und des Rechts, das angewandt werden soll. Zudem sind die Verfahren vertraulich und können helfen, die Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten. Ihre Spruchgewalt haben Schiedsgerichte aus einem Vertrag, meist zwischen Privaten und nicht vom Staat.

Das wirft Fragen nach ihrer Legitimation auf. Denn Verträge werden in der Regel zu ökonomischen Zwecken geschlossen und berücksichtigen nicht die Belange des Gemeinwohls. So kennt nationales Recht Schutzvorschriften für die schwächere Partei eines Vertrages oder für Drittinteressen, die vom Ausgang des Verfahrens betroffen sein können. Nach dem wichtigsten internationalen Regelwerk für Schiedsgerichte, dem New Yorker Übereinkommen von 1958, müssen Schiedssprüche grundsätzlich ohne inhaltliche Überprüfung vollstreckt werden. Zwar ist eine Kontrolle durch staatliche Vollstreckungsgerichte mit Blick auf Belange der „öffentlichen Ordnung“ möglich. Doch zu staatlichen Vollstreckungen kommt es aufgrund der freiwilligen Befolgung der Sprüche nur selten.

Moritz Renner teilt die Bedenken. „Vielleicht erleben wir derzeit eine Renaissance des vorstaatlichen Rechts“, sagt er. Schon vor der Bildung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert habe sich der Handel selbst Regeln gegeben, die anschließend durch nationale Rechtsordnungen verdrängt wurden. Als Argument gegen staatliche Regulierung verweisen liberale Autoren daher gerne auf die klassische Lex mercatoria, ein im Mittelalter entstandenes Gewohnheitsrecht für grenzüberschreitenden Handel. „Zumindest behaupten sie dessen Existenz“, sagt Renner.

Er selbst fragt, wie man Recht jenseits des Staates legitimieren kann. Dabei interessieren ihn Einzelfälle, etwa die Bilanzierung von Konzernen, spätestens seit der Finanzkrise kein ganz so trockenes Thema mehr. Deren Standards werden global von einer privaten Organisation gesetzt, dem International Accounting Standards Board in London. Das führt Konsultationen mit Behörden, Unternehmen, Interessenverbänden und WissenschaftlerInnen durch. Für Renner ein typischer Fall transnationaler Rechtssetzung – in den er Hoffnungen setzt: „Ein proto-demokratisches Verfahren jenseits des Nationalstaats.“

Das Beste aussuchen

Wie reagiert die Politik? Das Bundesjustizministerium wirbt derzeit mit einer Broschüre um das „Law – Made in Germany“. Darin wird das deutsche Rechtssystem als „global, effektiv und kostengünstig“ beworben. Internationale Konzerne können sich oft, auch für die Entscheidungen ihrer Schiedsgerichte, das für sie jeweils beste nationale Recht aussuchen. „Forum-Shopping“ nennen Juristen das.

Warum dann nicht gleich die Rechtsordnungen einander angleichen? Einer, der dagegen erfolgreich kämpft, ist Jan Philipp Albrecht, grüner EU-Parlamentarier. Zwei Jahre hat er sich gegen Acta gewehrt, dem umstrittenen internationalen Abkommen um geistiges Eigentum, bis das EU-Parlament den Vertrag gekippt hat. „Unter dem Vorwand der Handelsabkommen wird die Vereinheitlichung von Recht betrieben“, sagt Albrecht. Dabei kämen Grund- und Verfahrensrechte unter die Räder. „Die Macht der Konzerne ist offenbar größer als der Einfluss der demokratischen Öffentlichkeit.“

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