Regionalligen und Corona: Im Armenhaus des deutschen Fußballs
In den ersten drei Ligen soll auf Biegen und Brechen gespielt werden. Wie aber steht es um den Fußball in den Amateur-Spielklassen?
Leo Koch hat seit sieben Wochen nicht mehr gegen einen Ball getreten. Der Kapitän des SV Babelsberg hat wöchentlich Trainingspläne von seinem Verein zugeschickt bekommen. Die hat er abgearbeitet. Koch, 24, ist im Park joggen gewesen, hat – „äh, wie heißt das gleich“ – Intervallläufe gemacht. Und in seiner WG an der Seestraße hat er sich vor allem mit „Stabis“ fit gehalten, sogenannten körperstabilisierenden Übungen. Manchmal hat er auch zur Hantel gegriffen, „alles auf eigene Verantwortung“. Seine Mannschaftskollegen hat er nicht etwa auf dem Trainingsplatz gesehen, sondern bei einer Hilfsaktion für die Tafel Potsdam.
Der SV Babelsberg hat bis jetzt nicht mal in Kleingruppen trainiert. Die Plätze waren eh gesperrt. In der kommenden Woche soll das Training langsam wieder anlaufen. „Ich werde Zeit brauchen, um wieder reinzukommen“, sagt der defensive Mittelfeldspieler, „für die Spielpraxis braucht man schon ein paar Wochen, um ein gewisses Niveau zu erreichen.“
Die Kicker aus Potsdam müssen nichts überstürzen, die Regionalliga wird wohl nicht mehr zu Ende gespielt. Die vierten Ligen in Bayern, im Nordosten oder Südwesten haben nicht das Geld, um sich ein teures und aufwändiges Hygienekonzept zu leisten. Sie kicken, verglichen mit den Bundesligen, im Armenhaus des deutschen Fußballs. Bei ihnen kommen so gut wie keine Fernsehgelder mehr an.
Die Klubs aus Halberstadt, Bischofswerda oder Fürstenwalde brauchen die Einnahmen aus Ticketverkäufen. Geisterspiele sind ein Horror für sie, ein nicht zu stemmendes Zuschussgeschäft. Schon im Normalbetrieb kommen viele Vereine kaum über die Runden. Noch vor der Coronakrise musste sich Rot-Weiß Erfurt vom Spielbetrieb abmelden. Angestellte in der Regionalliga werden sowieso nicht reich. Das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 1.500 Euro brutto, auf dem Niveau eines Lagerarbeiters. „Es gibt sogar viele Spieler, die noch weniger verdienen“, sagt Leo Koch und erinnert daran, dass er und seine Kollegen in den vergangenen Wochen nicht einmal dieses mickrige Lohnniveau erreichten.
Niemand weiß, ob es Absteiger geben wird
Auch der SV Babelsberg hat seine Angestellten in Kurzarbeit geschickt. „Es wird knapp“, sagt Koch, „aber ich kriege es noch hin.“ Allein schon des Geldes wegen sehnt er sich nach Normalität, aber auch das Spiel fehlt ihm „total“. Vielleicht kommen auf den SV Babelsberg demnächst noch zwei Pokalspiele zu, mehr wird es auf absehbare Zeit nicht werden. Anders könnte es bei den Spitzenteams der Regionalliga Nordost ausschauen. Möglicherweise spielen sie den Aufstieg in die 3. Liga in einem Viererturnier aus, vielleicht wird der Sieger mit dem Taschenrechner ermittelt. Keiner weiß genau, ob nun Lok Leipzig hoch geht, Altglienicke, Energie Cottbus oder die leicht abgeschlagene Elf von Union Fürstenwalde. Und wird es Absteiger geben?
Das ist eine Frage, die Leo Koch spannend findet, denn Babelsberg hängt unten drin, aber er hat gehört, dass es in dieser Saison keine Absteiger geben wird. Das wäre nicht unwichtig für den BWL-Studenten, denn er hat gerade seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert, fühlt sich wohl im Verein, der für seine linke Ultra-Szene bekannt ist. Seit einigen Wochen läuft in Babelsberg eine Soli-Aktion zur finanziellen Unterstützung des SV. 80.000 Euro will man einnehmen, bisher sind es knapp 46.000 Euro geworden. Fans können zum Beispiel einen „Soli-‚Nazis raus!‘-Ruf“ für 25 Euro erwerben oder einen „Soli-Seitan (vegan)“ für 3,50 Euro. Der Verein will „Einfach.Anders“ sein.
Vom Solidarfonds der reichen Vereine in der 1. Bundesliga kommt in Babelsberg nichts an, das Geld geht eh drauf für die vielen Coronatests der Profis und das Hygienekonzept. Es soll den Start in die beiden Profiligen am Samstag ermöglichen. Leo Koch ist leicht überrascht, dass es doch schon an diesem Wochenende wieder losgeht. „Ist das wirklich notwendig?“, fragt er vorsichtig. „Ich sehe die Sinnhaftigkeit nicht mehr so richtig“, aber weil er am Samstag halb vier nichts Besseres zu tun hat, wird er die Spiele wohl anschauen. Dennoch: Er ist skeptisch, glaubt nicht an gleiche Chancen für alle, findet, der Spielbetrieb werde „an den Haaren herbeigezogen“, aber wer es sich leisten kann, spielt eben. Oder wird dazu genötigt, wie einige Vereine aus der 3. Liga. Die zwanzig Vereine, so lautet der ausdrückliche Wunsch des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), sollen die Saison ab dem 26. Mai in Englischen Wochen zu Ende spielen.
In Liga drei gibt es pro Verein immerhin noch über 870.000 Euro Fernsehgeld und somit einen gewissen Handlungsdruck. Nicht jeder Verein ist mit dem Geisterspiel-Finale, das sich über elf Spieltage bis zum 30. Juni hinziehen würde, einverstanden, auch zwei Vereine aus Sachsen-Anhalt melden Bedenken an: der 1. FC Magdeburg und der Hallesche FC. In dem Bundesland, das vom CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff regiert wird, gilt bis Ende Mai ein Verbot von Sportwettbewerben.
Pläne von DFB und DLF treiben merkwürdige Blüten
Die beiden Klubs können nur in Kleingruppen von maximal fünf Spielern trainieren, und das Gesundheitsamt von Halle hat schon angekündigt, dass bei der Corona-Infektion eines Spielers die gesamte Mannschaft in Quarantäne käme. Haseloff beschwerte sich darüber, dass der DFB „unerträglichen Druck auf Politik und Vereine“ ausübe – angeblich habe der Verband sogar mit Lizenzentzug gedroht, sollte ein Klub den Spielbetrieb nicht wieder aufnehmen wollen. „Das können nicht die Spielregeln in unserer Gesellschaft sein“, monierte Haseloff. Seine Regierung versuche „gegenzuhalten, solange die Kraft bleibt“. Der DFB antwortete in Person von Generalsekretär Friedrich Curtius: Mitnichten habe der Fußball-Verband Druck ausgeübt, ließ er mitteilen.
In den ersten drei Ligen soll auf Biegen und Brechen gespielt werden, Chancengleichheit hin, Gesundheitsgefahr her. Deswegen könnte es zu der absurden Regelung kommen, dass Magdeburg und Halle ihre ersten Spiele nicht in Sachsen-Anhalt, sondern anderswo, an einem „neutralen“ Ort, austragen müssen, um die strengen Regeln in ihrer Heimat zu umgehen. Die Pläne von DFB und DLF treiben also merkwürdige Blüten, und nicht minder bemerkenswert ist, dass die einzige echte Reformanstrengung in Zeiten von Corona aus den Regionalligen kommt.
Etliche Vereine, darunter der SV Babelsberg, wollen auf dem Außerordentlichen DFB-Bundestag am 25. Mai für die Einführung einer zweigleisigen 3. Liga plädieren. So hätten die besten Teams aus den vierten Ligen endlich wieder die Möglichkeit, in toto aufzusteigen; das Nadelohr würde größer werden. Leo Koch findet das Modell gut. „Jetzt wäre der Zeitpunkt, zu dem man etwas verändern könnte“, sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen