Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Geldpolitik, das sind wir
Was gute Geldpolitik ist, bestimmt am Ende die EZB selbst: Das mag in einem demokratisch verfassten Staatswesen aufstoßen, ist aber unvermeidlich.
D as Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag macht deutlich, dass wir uns von der wirtschaftspolitischen Lebenslüge verabschieden müssen, man könne Geld- und Wirtschaftspolitik sauber trennen und rechtsfest definieren, was Geldpolitik sei. Das Gericht hatte geurteilt, dass die Anleihen-Käufe der EZB teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Geldpolitik war historisch Geldmengensteuerung, heute versuchen die Zentralbanken der Welt, bestimmte Zinsen und damit Vermögensanlageentscheidungen so zu steuern, dass Preisstabilität herrscht. In geldpolitischen Normalzeiten genügt es, einen speziellen kurzfristigen Zins, der nur für Banken relevant ist, festzulegen; die restlichen, für Verbraucher relevanten Zinsen, zum Beispiel fürs Sparbuch, ergeben sich dann am Markt.
In geldpolitischen Normalzeiten leben wir aber nicht, so dass die Europäische Zentralbank (EZB) die für den Verbraucher relevanten längerfristigen Zinsen direkt steuern muss, wenn sie ihr gesetzliches Ziel – die Preisstabilität – erreichen will. Das geschieht wegen deren Relevanz am praktischsten durch den An- und Verkauf von Staatsanleihen.
ist Associate Professor an der University of Notre Dame in Indiana, USA. Sein Forschungsgebiet ist die Makroökonomik.
Zinsänderungen aber sind in einer Marktwirtschaft so zentral, dass sie Auswirkungen aufs gesamte wirtschaftliche Geschehen haben. Zum Teil ist das intendiert, siehe Inflationsbekämpfung, zum Teil vielleicht nicht: niedrige Zinsen für deutsche Sparer. Vermeiden lässt sich dies aufgrund vielfältiger systemischer Verflechtungen kaum.
EU ist nicht für deutsche Sparer zuständig
In der Praxis ist es daher nahezu unmöglich, geldpolitische Entscheidungen unter höchstrichterlichen Vorbehalt zu stellen. Was gute Geldpolitik ist, bestimmt am Ende die EZB selbst: „Geldpolitik – das sind wir“. Das mag in einem demokratisch verfassten Staatswesen aufstoßen, ist aber unvermeidlich. Nur das Ziel, Preisstabilität bei Unterstützung der allgemeinen EU Wirtschaftspolitik zu wahren, lässt sich demokratisch vorgeben.
Zur allgemeinen EU-Wirtschaftspolitik gehört es jedenfalls nicht, deutschen Sparern gute Zinsen zu sichern. Dafür wäre alleine die deutsche Wirtschaftspolitik zuständig. Die EZB ist nur durch die Auseinandersetzung mit ihrer Geldpolitik und durch das Überprüfen ihrer geldpolitischen Zielerreichung sinnvoll zu kontrollieren. Dazu braucht es ein Grundvertrauen in die EZB, dem das Karlsruher Urteil nicht förderlich war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod