: Unbehagen an der Objektivität
Zwei Monate waren sie zu, nun öffnen die Ausstellungshäuser wieder. In Hamburg setzt sich die Fotograf*innen-Nachwuchs-Ausstellung „Gute Aussichten“ mit Krieg und Frieden in Zeiten der Desinformation auseinander
Von Falk Schreiber
Als Fotokunst im engeren Sinne geht Lisa Hoffmanns Serie „Atlas der Essenz“ nicht mehr durch. Die Künstlerin kommt zwar aus dem Fotojournalismus, der noch an den Abbildungscharakter der Bildes glaubt; in ihrer an der Muthesius Kunsthochschule Kiel entstandenen Serie aber sind Aufnahmen aus Krisengebieten nur noch Material, das zusammengesetzt wird zu neuen Schlachtenbildern, verwischte, vielstimmige Kompositionen, bei denen man hier einen Gewehrlauf erkennt, dort ein Fahrzeug, drüben eine schemenhafte Gestalt. Kompositionen, die näher an der Malerei siedeln als an der Fotografie.
Die großformatigen Bilder formulieren so eine Skepsis an der Aussagekraft der Dokumentarfotografie – und sind so die wahrscheinlich wörtlichste Umsetzung von „Krieg und Frieden in Zeiten globaler Desinformation“, dem aktuellen Motto der Fotonachwuchs-Ausstellung „Gute Aussichten“, deren 16. Ausgabe aktuell im Hamburger Haus der Photographie zu sehen ist.
Eigentlich hätte „Gute Aussichten“ am 21. März eröffnen sollen; im Zuge der Coronapandemie allerdings mussten die Deichtorhallen wie alle Hamburger Museen ab dem 16. März schließen. Immerhin konnte die Ausstellung in einem logistischen Kraftakt verlängert werden. Bis Ende August präsentieren sich neun junge Fotograf*innen, außerdem der 2018er-Preisträger Malte Sänger mit dem Stipendium Grant III für seine ein wenig unter der eigenen Gewitztheit ächzende Serie „DAEMON“. Dazu kommen die schon etwas etablierteren Karla Hiraldo Voleau, Tobias Kruse und Mika Sperling, denen das „Recommended“-Stipendium des Kameraherstellers Olympus aufwendigere Arbeiten ermöglichte.
Lisa Hoffmann ist dabei nicht die ästhetisch herausforderndste Künstlerin dieses Jahrgangs, aber sie ist diejenige, an deren Arbeit sich am besten beschreiben lässt, in welche Richtung „Gute Aussichten“ 2020 geht: weg von den die Vorjahre prägenden konzeptionellen Arbeiten, hin zu einer bildkritischen Herangehensweise, die sich im Zweifel zu einer überraschend konventionellen Form entwickelt.
Das führt dann zum altmeisterlichen, vielleicht auch ein wenig betulichen Ästhetizismus von Arbeiten wie „Atlas der Essenz“. Und auf der anderen Seite zu einer Serie wie dem dokufiktionalen Spiel „Heide“ von Larissa Rosa Lackner, die die vorgeblichen Selbstzeugnisse einer gesellschaftlichen Außenseiterin sammelt und so die Frage stellt, inwiefern sich Leben abbilden lässt. Was nicht zuletzt deswegen reizvoll ist, weil Lackner im Unklaren lässt, ob ihre umfangreiche Materialsammlung womöglich von vorn bis hinten inszeniert ist.
Eine Frage, die auch Ricarda Fallenbacher umtreibt. Die gibt mit „Ein Bild von uns – objektiv betrachtet“ eine installative Antwort, deren aufwendiges Arrangement ein wenig verdeckt, dass hier nicht viel mehr dahintersteckt als die doppelte Bedeutung des Wortes „Objektiv/objektiv“ für die Fotografie. Dennoch auch hier: Unbehagen an der Objektivität des Bildes als zentrale Kategorie.
Gleichzeitig lenkt das Arrangement von „Ein Bild von uns“ den Blick auf die Präsentation. Mögen die einzelnen Arbeiten streckenweise mehr beflissene Fingerübungen sein als echte künstlerische Statements, so erweist sich „Gute Aussichten“ auch als Schau, die zeigt, wie durchdacht sich Fotografie im Museum zeigen lässt. Etwa mit der klassischen, mehr an ein Layout als an eine Wandpräsentation erinnernden Hängung von Lukas van Bentums Kaliningrad-Serie „Identity Negotiation“. Oder mit der nüchternen Filmpräsentation von Juliane Jaschnows mehrfach dekonstruiertem Sturm-auf-Berlin-Reenactment „Rekapitulieren“. Mit Victoria Vogels zwischen glatter Softerotik und Verstörung schillernder Schulmädchen-Studie „The Slight Myth“. Und schließlich mit Johannes Kuczeras eiskalter Produktfotografie-Abrechnung „Distributor“.
Das ist so klug, genau und spektakulär präsentiert, dass die konventionellere Hängung von Marco Mehringers Balkankrieg-Aufarbeitung „Schusslicht Sarajevo“ und Markus Seibels Flüchtlingsdrama-Langzeitstudie „Europas Herbst“ vergleichsweise uninteressant daherkommt. Den Arbeiten gegenüber ist das nicht ganz fair.
Stark sind auf jeden Fall die „Recommended“-Stipendiat*innen, die sich alle drei mit Fallstricken der Kommunikation auseinandersetzen: Karla Hiraldo Voleau, die für „I have nothing to tell you“ liebeskrank durch Japan wankt und die Sprachbarriere dadurch überwindet, dass sie sich Botschaften auf die Haut schreiben lässt, „lost in translation“.
Tobias Kruse, der mit „Deponie“ das heimatliche Ostdeutschland durchstreift und eine Welt aus dumpfer Sprachlosigkeit und gnadenlosem Hass in kontrastreichem Schwarz-Weiß einfängt. Mika Sperling, die für ihre Recherche „Mother Tongue“ ihre eigene Biografie als Sprachwandlerin zwischen Russisch, Deutsch und Vietnamesisch analysiert. Geboren wurde sie in eine russlandmennonitische Familie im sibirischen Norilsk, siedelte als Jugendliche in die Bundesrepublik über, studierte in Darmstadt, Bielefeld und San Francisco. Verheiratet ist sie mit einem Vietnamesen.
Das sind drei sehr eigene Auseinandersetzungen mit der eigenen Position als Fotograf*in, ohne die akademische Beflissenheit, die man bei der „Gute Aussichten“-Kunst manchmal spürt, dafür voller Bereitschaft, sich selbst angreifbar zu machen. Aber vielleicht darf man diese Bereitschaft bei den sehr jungen Künstler*innen noch nicht erwarten. Angreifbarkeit war wohl noch nie die Stärke des Nachwuchses.
„Gute Aussichten 2019/2020“: bis 30. 8., Hamburg, Deichtorhallen/Haus der PhotographieDer Katalog zu „Recommended“ kostet im Buchhandel 5 Euro
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