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„Corona in der Welt“ – KirgistanDie Rache Allahs

In Kirgistan wachsen die Spannungen zwischen gemäßigten und radikalen Muslimen. Das zeigt sich einmal mehr in Zeiten der Pandemie.

Stechschritt und Mundschutz: Kirgisische Soldaten beim Wachwechsel in Bischkek Foto: Vladimir Pirogov/reuters

Bischkek taz | In Kirgistan hat das Coronavirus religiösen Fanatikern einen bösen Streich gespielt. Auf Initiative eines populären Geistlichen wurde in den sozialen Netzwerken folgender Fake verbreitet: Covid-19 betrifft keine Muslime. Allah habe das Virus den Chinesen geschickt – aus Rache für den unerbittlichen Umgang mit den uigurischen Muslimen. Angeblich wendeten sich Chinesen und Italiener in Massen dem Islam zu, da nur dies sie vor dem Tode retten werde.

Die Ironie ist, dass das Virus in Kirgistan zuerst bei drei Männern nachgewiesen wurde. Sie waren nach Saudi-Arabien gereist, wo sie die heiligen Stätten besucht hatten. Nach ihrer Rückkehr hatten sie in ihrem Dorf ein Fest gefeiert. Wütende Kommentare „weltlicher“ Bürger ließen nicht lange auf sich warten.

In Kirgistan bekennen sich 90 Prozent der Bevölkerung zum Islam. In den vergangenen Jahren ist in der Gesellschaft eine Spaltung zwischen denjenigen zu beobachten, die sich als wahrhaft Gläubige bezeichnen, und denjenigen, die sich zum gemäßigten Lager zählen. Gerade Letztere fanden immer einen Grund, Diskussionen in den Medien loszutreten. Nun auch noch das Coronavirus.

Zwar startete die Staatsmacht sofort eine Informationskampagne. Schon Ende Januar wurden die Grenzen zu China geschlossen, Ankommende aus dem Ausland überprüft und Personen in Quarantäne geschickt. Doch die Bevölkerung nahm diese Maßnahmen nicht ernst.

Vorräte gehen zu Ende

„Im Fernsehen haben wir doch alles gesehen – was in China los war und auch die Warnungen unserer Regierung. Wer hätte ahnen können, dass Ende März das Elend mit dem Coronavirus auch in Kirgistan ein solches Ausmaß annehmen würde?“, sagt die zweifache Mutter Asel Dschusupbe­kova. „Geb’s Gott, dass bald alles vorüber ist. Wir sitzen ohne Arbeit zu Hause und die Vorräte gehen zu Ende.“

Dessen ungeachtet machten in Kirgistan via Internet Witze und Ratschläge die Runde, die bezeichnend für die Staaten der einstigen Sowjetunion sind. „Wie schützen wir uns vor dem Virus? Wir reiben die Hände mit Wodka ein und kippen 100 Gramm hinter die Binde. Schon gibt es keine chinesische Infektion mehr.“

Das Gesundheitsministerium hatte bereits Anfang des Jahres Empfehlungen abgegeben: sorgfältig die Hände waschen, auf Hygiene achten, Masken tragen und Gebäude mit Wacholder (Artscha) beräuchern. Wacholder nimmt einen besonderen Platz im Leben des kirgisischen Volkes ein: nach ihm sind Parks, Naturschutzgebiete und Ortschaften benannt.

Von Alters her glauben die Menschen, dass Wachholderrauch Gebäude von allen Übeln des Geistes reinigt und Mikroben tötet. Ab Februar waren viele Büros von Wacholdergeruch erfüllt. Diskussionen über Corona endeten immer mit dem Ausspruch: „Beschütze uns Gott!“

Stiere geopfert

An Gott wandte sich auch der Mufti Kirgistans, Maksatbek Toktomuschev. Im Hof der größten Moschee opferte er zwei Stiere. „Bloß nicht wegen Corona in Panik verfallen“, sagte er vor der Zeremonie. „Unsere Vorfahren haben in solchen Fällen gemäß der Tradition und Scharia eine Zeremonie mit Wacholder und den Allmächtigen um Schutz vor Krankheiten, Tod und anderen Nöten ersucht. Möge der Allmächtige unserem Volk Wohlergehen, Einheit und Frieden bringen.“ Leider hatte dieser Appell nicht das gewünschte Ergebnis. Am 4. April gab es in Kirgistan fast 150 Infizierte und einen Toten.

Die Staatsmacht verfügte im ganzen Land Quarantäne, in einigen Städten und Regionen wurde eine Ausgangssperre verhängt. Die Menschen dürfen vor allem in der Hauptstadt Bischkek nur noch mit einem besonderen Dokument auf die Straße gehen, auf dem außer persönlichen Angaben auch vermerkt sein muss, was sie einkaufen wollen.

Alle Verwaltungsgebäude sind geschlossen, Kinder und Studenten lernen zu Hause. Zur Arbeit dürfen nur Ärzte, Staatsbedienstete und Menschen gehen, die einen Passierschein haben. Die sonst so belebten Straßen Bischkeks sind ungewöhnlich leer.

Tausende sind in unbezahltem Urlaub oder ganz ohne Arbeit und Mittel, um ihre Existenz zu sichern. Die Regierung hat angekündigt, dass diejenigen, die beim Sozialministerium registriert sind, mit Lebensmitteln versorgt werden.

Millionenkredit vom IWF

Der Staatsmacht ist klar, dass die Maßnahmen der Wirtschaft kolossale Verluste zufügen werden. Denn anders als die an Öl und Gas reichen Nachbarn war Kirgistan gezwungen, bei internationalen Finanzorganisationen um Hilfe zu bitten. Der IWF gewährte einen Kredit in Höhe von 120 Millionen Dollar.

Auch in Kirgistan ist der Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus eine neue Erfahrung. Alle fahren auf Sicht. Doch als sich die Nachricht über die ersten Genesenen verbreitete, keimte Hoffnung auf. Unter ihnen waren auch zwei der Rückkehrer aus Saudi-Arabien.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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