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Wie man virtuell Türen zuschlägt

Theater auf WLAN – kann das gut gehen? Die Schweizer Gruppe vorschlag:hammer transformiert gekonnt das abgesagte Analog-Gastspiel „Twin Speaks“ in eine Messenger-Aufführung für Smartphone-Nutzer

Gelungene Mischung aus geografischer Distanz und intimer Nähe: „Twin Speaks“ in der Telegram-Edition Foto: Paula Reisig

Von Tom Mustroph

Das Theatergenre erfährt in diesen Tagen rhizomatische Erweiterungen. Es wird gestreamt und gechattet, 3-D-Animationen werden in virtuelle Räume gestellt, Game-Infrastrukturen bespielt. Und das Subgenre WLAN-Theater machte letzten Donnerstag die Gruppe vorschlag:hammer mit ihrer Produktion „Twin Speaks“ auf der Messengerplattform Telegram auf.

Etwa 200 Accounts waren zugeschaltet, als Schauspieler Stephan Stock die ersten praktischen Anweisungen gab. Die Handys sollte man auf WLAN umstellen, um bei der zu erwartenden Datenmenge nicht an den Kosten für den mobilen Datendienst zu verzweifeln. Aus der Gruppe abmelden sollte man sich auch nur in den Pausen, damit die Nachrichten über den vollzogegenen Abmeldevorgang nicht den Fluss der Show stören – sich abzumelden sei so etwas wie die virtuelle Form des lauten Türenschlagens verärgerter Offline-Theaterbesucher.

Die digitale Crowd hielt sich weitgehend daran. Nicht steuerbar waren allerdings die Nachrichten über das Zuschalten neuer Gruppenmitglieder – virtueller Nacheinlass in diesem Fall, aber eben nicht kontrolliert durch die Zerberusse der Theaterhäuser. Das kann man als Anfängerfehler bei der Onlinetransformation belächeln. Man kann es auch als Anlass für ein Nachdenken über Theaterkonventionen generell nutzen.

Das Stück selbst bediente sich am Anfang ganz munter aus dem Konventionenkasten. Ein Tatort-Setting mit Leiche am Rhein und auf Lokalkolorit getrimmtem Ermittlerteam flackerte über die Handyscreens. Die Polizeifotografin musste gar vom eigenen TV-“Tatort“-Abend weggeholt werden. Handlungsort war die 10.000-Einwohner-Gemeinde Birsfelden, gelegen am Rhein, ganz in der Nähe Basels. In Birsfelden befindet sich auch das Roxy Theater, in dem die Offline-Variante des Stücks im letzten November aufgeführt wurde. Für das – ausgefallene – Gastspiel am Berliner Ballhaus Ost wurde nun die Messenger-Variante kreiert. Die entpuppte sich als überraschend guter Wurf. Denn das Spähen in die Dorfgemeinschaft über die verschiedenen Audio-, Video- und Textnachrichtenfenster bereitete womöglich sogar mehr Freude, als es die Bühnenshow mit Leinwand oder Monitoren vermocht hätte. Reizvoll war vor allem das für die Plattform Smartphone charakteristische Spiel mit den Extrempunkten geografischer Distanz – zuweilen wurden sogar Standortdaten der Ereignisorte geliefert – und fast schon intimer Nähe, die sich durch die Video- und Audiobotschaften herstellte.

Dem einen Todesfall folgte bald ein weiterer. Die Tätigkeit des Ermittlerteams entwickelte sich durch die Videoeinspieler zu einem Porträt der Gemeinde Birsfelden. Dartkneipe und Fitnessclub wurden aufgesucht. Höhepunkt war ein Besuch im Altenheim bei fünf alten Damen, die sich im Interview unmerklich in mythische Krähen mit vielen Geheimnissen verwandelten.

Diese Aufführung deutete die Potenziale von WLAN-Theater an

Die alten Damen markierten den Umschlagpunkt von dörflicher „Tatort“-Parodie hin zu den Gefilden von Mystery und Thriller. Ein Gimpel, ein auch unter den Namen Dompfaff und Blutfink benannter Vogel, hinterließ an den Mordorten stets eine Feder und bestimmt als düster-schriller Verwandlungsvogel auch das Finale.

Als sehr reizvoll stellte sich bei dieser Messengerversion von Theater das Wechselspiel aus vorproduzierten Videos und Audiomessages, aus Livevideo und (vermutlich) live eingesprochenen Passagen und Textmitteilungen heraus. Schönes Extra waren die musikalischen Audiotakes, die man als eine Art Filmmusik selbst zu einzelnen Episoden hinzuholen konnte. Als Nutzer stand man zudem vor der Wahl, dem vorgegebenen Tempo der Botschaften zu folgen oder sich den eigenen narrativen Pfad zu bahnen.

„Twin Speaks“ deutete die Potenziale von WLAN-Tteater auf Messenger-Basis an. Digitale Spenden ans Ballhaus Ost konnte man auch abgeben. Es eröffnen sich also sogar zarte wirtschaftliche Perspektiven. Unklar ist zurzeit, ob es weitere Sessions auf Telegram geben wird.

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