: Nordlichter privat
Der NDR-Dreiteiler „Unsere Geschichte – Der Norden auf Super 8“ erzählt vom Leben seit 1945 – auch mithilfe von Amateurfilmen
Von Wilfried Hippen
Heute ist es einfach: Wer ein Smartphone dabei hat, hat auch eine Kamera zur Hand, kann jederzeit bedeutende oder schöne Momente dokumentieren. Da ist es schon eine Ausnahme, wenn bei einer Feier, einer Reise oder auch einem Unglücksfall niemand filmt. In den 1980er-Jahren sorgte die – verglichen mit professionellem Equipment – billige Videokamera für ein Mehr an Amateurfilmen über alles und jeden. Davor produzierte nur ein vergleichsweise kleiner Kreis bewegte Bilder, und sein Medium hieß „Super 8“. Kamera, Projektor, Leinwand und vor allem das Filmmaterial hatten ihren Preis, und so wurde dieses private Filmen in den 1960er- und 1970er-Jahren kaum zu einem Massenphänomen.
1980 hatte der Filmemacher Robert van Ackeren die Idee, für „Deutschland privat – eine Anthologie des Volksfilms“ solches Material zu kompilieren. Sein Ziel: ein alternativer Heimatfilm, der dann auch viel explizit erotisches Material enthielt, folglich für einen Skandal sorgte und zu einem Kassenerfolg wurde. Einem ähnlichen Prinzip folgen nun Nina Rothermundt und Vera Weber für die dreiteilige Produktion „Der Norden auf Super 8“, die der NDR in seinem TV-Format „Unsere Geschichte“ ab Anfang April ausstrahlt. Ausgangsmaterial dafür waren 162 Filmrollen von 14 AmateurfilmerInnen. Die ältesten Aufnahmen stammen aus den späten 1940er-Jahren – und können so wenig wie die aus den 1950er-Jahren auf Super 8 gedreht worden sein: Der Hersteller Kodak führte das Format erst 1965 ein.
Der Titel führt also ein wenig in die Irre, und anders als damals van Ackeren beschränken sich Rothermundt und Weber auch nicht auf diese Fundsachen: Sie mischen das Material unbekümmert und manchmal erstaunlich unhistorisch mit historischen Archivaufnahmen, Fotos und sprechenden ZeitzeugInnen. So montieren sie etwa zu der mündlichen Erzählung vom Äpfeldiebstahl in den Hungerjahren nach dem zweiten Weltkrieg eine kurze Sequenz mit einem herzhaft in einen Apfel beißenden Kind, wohlgenährt und in Farbe und demnach offensichtlich in einem ganz anderen, späteren Kontext aufgenommen.
Die drei 45-Minuten-Folgen haben thematische Schwerpunkte: „Urlaub und Freizeit“, „Familie und Wohnen“ und „Arbeit und Konsum“, folgen dann aber jeweils einer chronologischen Dramaturgie. Sie beginnen also mit Nachkriegsbildern in Schwarzweiß und enden in den frühen 80ern. Es geht etwa darum, wie lange es in ostfriesischen Dörfern noch kein fließendes Wasser gab, oder dass auf Amrum in geschäftlichen Dingen die Frauen das Sagen hatten, weil viele Männer draußen auf See waren. Super-8-Bilder gibt es aber nicht zu allen Geschichten, und so wurde dazu montiert, was sich eben finden ließ, auch Privatfotos, die per Computeranimation möglichst filmisch wirken sollen.
Einige Erzählstränge kommen ganz ohne Privataufnahmen aus, etwa der zu den Straßenbahnunruhen in Bremen: Das verwendete Material war schon in vielen Dokumentationen übers „wilde“ 1968 zu sehen. Wer wann warum welche Aufnahmen gemacht hat, bleibt oft unklar, und nur eine Geschichte handelt vom Filmen selbst: Bernd Wacker und sein Bruder dokumentierten in den 70ern das Vereins- und Gesellschaftsleben in ihrem Heimatdorf an der Flensburger Förde und waren als Chronisten respektiert – trotz rebellischer Attitüde und langen Haaren. „Unsere kleine Super-8-Kamera war ein Schlüssel zum Herzen der Menschen“, sagt Wacker, allerdings aus dem Kontext gerissen, als sentimentalen Schlusssatz am Ende des letzten Teils.
Zu den kleinen Tricks, die wohl für nostalgisches Wohlgefühl sorgen sollen, gehört auch der einschmeichelnde Erzählton von Stephan Schad mit seinen norddeutschen Text-Einsprengseln wie „Lütten“ für Kinder oder Sprüchen wie „Husum ist nicht Mallorca“ und „Wenn das Schaf keine Locken hat, ist Sturm“.
Nina Rothermundt hat mit ihrer auch jetzt wieder beteiligten Firma Creatv Sachsen schon Sendungen wie „Der wilde Osten“, „Wie die DDR wirklich war“ oder „Leben im geteilten Deutschland“ produziert. Bei dieser Art von Kompilations-Dokumentationen kommt es darauf an, durch den Schnitt und mittels Bildern aus vielen Quellen eine Geschichte möglichst klar und stimmig zu erzählen. Dies ist ihr auch hier gelungen: Der Super-8-Dreiteiler ist immer kurzweilig, und in den Episoden wird Vertrautes – Boßeln in Ostfriesland, FKK in der DDR – mit autobiografischen Details von Zeitzeugen ausgepolstert. Und weil Fernsehproduktionen die Musikrechte in der Regel mit einer günstigen Pauschale abgelten, konnte man bei der Auswahl der die Stimmungen verstärkenden Musikstücke aus dem Vollen schöpfen: Die ursprünglich stummen Super-8-Aufnahmen werden hier mit Songs der Beatles, Rolling Stones und Doors vertont.
Weit weniger als die Hälfte der im Film gezeigten Bilder stammen tatsächlich von den vielen AmateurInnen, die dem NDR ihre Sammlungen überließen. Die körnigen, oft unscharfen und wackeligen Aufnahmen bilden nicht den Kern, aber sie würzen diese launige, aber auch konventionelle Sitten- und Kulturgeschichte Norddeutschlands. Verpasst worden ist die Chance, zu zeigen, wie sich dieser private Blick vom offiziellen oder auch bloß einem professionellen Blick unterscheidet. Aber es bleibt Einiges zu entdecken. So gab es unter den norddeutschen Super-8-FilmerInnen ein besonderes Objekt der Begierde, und das waren nicht etwa die Miniröcke – auch wenn es nun eine entsprechende, leicht voyeuristische Sequenz gibt. Nein, am liebsten nahmen die Leute auf, was die Amrumer Strandkorbvermieterin Angelika Hesse liebevoll „mein Käferlein“ nennt: ihren Volkswagen.
„Unsere Geschichte – Der Norden auf Super 8“. Regie: Nina Rothermundt, Vera Weber, D 2020, dreimal 45 Minuten. Ausstrahlung: 1., 8. und 15. April, jeweils 21 Uhr, NDR Fernsehen. Alle Folgen sind schon online in der ARD-Mediathek verfügbar: www.ardmediathek.de
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