piwik no script img

Corona und sportlicher EhrgeizWer steckt sich als Letzter an?

Corona könnte einem wie ein Spiel vorkommen, bei dem die ganze Welt mitmacht. Eigenschaften, die beim Sport von Vorteil sind, helfen auch hier.

Ein Osterhase grüßt am Ostersamstag in White Bear Lake, Minnesota, eine Familie im Auto Foto: Shari L. Gross/Star Tribune/AP

F ast kommt mir Corona wie ein einziges großes Spiel vor. Die ganze Welt spielt mit. Das Ziel ist es, sich als Letzter anzustecken. Mir fällt ein, wie sehr ich schon als Kind Bücher mochte, in denen irgendwelche anderen Kinder nach einer Katastrophe alleine übrigbleiben. Alle Erwachsenen sind tot – ein Traum.

Oder Spiele, bei denen man unter dem Radar durchtauchen kann, die üblichen Überflieger den Ton angeben lässt, um am Ende doch zu gewinnen. Manche Brett- und Kartenspiele sind ja bereits so angelegt. Oder, besonders haptisch, wie bei der Reise nach Jerusalem: leise und unauffällig mitschwimmen, während die Spielkameraden kreischen und toben.

Und was für eine diebische Freude hatte ich beim Völkerball: immer versteckt bleiben, in der Ecke, hinter anderen; sparsame Bewegungen, wenig eigene Aktionen, um im entscheidenden Moment auf einmal da zu sein. Das alles entspricht exakt meiner Persönlichkeit, die Faulheit und Verschlagenheit mit Restspuren von Ehrgeiz und Geltungsdrang vereint – viele dünne Bretter ergeben übereinandergestapelt schließlich doch ein dickes.

Nur deshalb habe ich auch den eigentlich weit adäquateren Platz am Lenkrad eines Taxis gegen den warmen Pupssessel in der Schreibstube eingetauscht. Jetzt nenne ich mich Autor. Immerhin nicht Schriftsteller – jedes Mal, wenn sich einer wie ich unironisch als „Schriftsteller“ bezeichnet, laufe ich violett an vor Fremdscham – aber doch Autor. Ich schreibe also.

Dabei kann ich das nicht gut. Muss ich nicht dazusagen, sieht man ja: ein unübersichtliches Meer aus Parataxen und schiefen Bildern, ein Overkill an gern mal witzig gemeinten Adjektiven und Monsterkomposita, die überladene Holzhammerparodie eines so originell wie originär wirken wollenden Stils. Inhalt oder Haltung werden durch Witze ersetzt wie tragende Schrauben durch Gaffer.

Auch brauche ich für jeden fehlerfreien Satz entsetzlich lang. Eine über fünfzehn Jahre dauernde Lebensphase der Entintellektualisierung lässt sich nie wieder aufholen. Das bekomme ich jeden verdammten Tag zu spüren.

Das Echo kommt nicht

Exkurs Ende. Nun stummes Warten auf ein Echo: „Ach was, du bist genial! Nein, wie sympathisch kommt doch diese selbstironische und grundehrliche Bescheidenheit rüber!“ Das Echo kommt nicht. Wenn die Wahrheit die vermeintliche Koketterie mit Lichthupe rechts überholt hat, ist die Autobahn dahinter leer. Dieser unstillbare Durst nach Anerkennung, bloß weil ich damals als kleiner Junge …

Also gut, weiter: oder Sportarten, wo man durch Verweigerung und Vermeidung ebenfalls über Erwarten abschneiden kann. Defensives Schachspiel. Möglichst keinen Fehler machen bei null Eigeninitiative.

So wie Igel oder Beamte. Dienst nach Vorschrift. Das Resultat ist ein überraschendes Remis gegen überlegene Spieler. Das klappt ebenso beim Fußball, hinten mauern und vorne hilft der liebe Gott. Oder der Rundlauf beim Tischtennis: Ich lasse die An- und Aufschneider unsinnig viel riskieren und reihenweise rausfliegen. Ich selbst blocke nur den Ball, damit er es irgendwie auf die Platte schafft und ich so lange wie möglich drinnen bleibe. Meistens gelingt mir das.

Oder als ich früher noch regelmäßig zum Trabrennen ging: Was für ein herrliches Gefühl das war, wenn der von mir gewettete Außenseiter im Endspurt das gesamte Feld von hinten aufrollte und als Sieger durchs Ziel lief.

Dieser unterschätzte Gaul möchte am Ende der Pandemie ich sein. Unbemerkt mogle ich mich in einer Statistik mit immer mehr Infizierten an diesen vorbei in eine Elite der Gesunden. Und eines Tages werde ich es geschafft haben: Ich bin der letzte Mensch ohne Antikörper.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • und hier kommt das Echo: super, suuuper, super. Wie immer saß ich breit grinsend vor Ihrem Text und meinte so vor mich hin: "oh ja, Herr Hannemann trifft mal wieder den Nagel auf den Hammer".