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In den Transitzonen

Laurenz Berges steht für eine zurückhaltend wirkende Fotografie, die auf präziser Beobachtung fußt. In Bottrop werden seine Arbeiten über Duisburg adäquat ausgestellt

Von Markus Weckesser

Bis in die 1970er Jahre stand in der Mitte von Duisburg ein Richtungsschild, das nach Westen in die „Niederlande“ und nach Osten ins „Ruhrgebiet“ wies. Dem Rest fühlte sich die Stadt der Stahlkocher nicht zugehörig. Weder wirtschaftlich noch kulturell. Heute zählt Duisburg zu den ärmsten Kommunen im Revier. Eine von Heinz Liesbrock und Thomas Weski im Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop kuratierte Schau mit Bildern von Laurenz Berges blickt auf den schleichenden Wandel. Mit seinen Fotografien der einstigen „Stadt Montan“ formuliert der Künstler eine visuelle Antithese zu der Trias von Dynamik, Fortschritt und Transformation, die das Ruhrgebiet knapp ein Jahrhundert prägte.

Für Entschleunigung und genaue Beobachtung, welche der Arbeit des Fotografen mit der Großbildkamera geschuldet sind, war hier kein Platz. Das Ruhrgebiet schlief nie. Jahr um Jahr kochte der Pott. Und genau so wurde er jahrzehntelang in der Fotografie dargestellt: mit Bildern von schwitzenden und rußverschmierten Bergleuten, spektakulären Abstichen an Hochöfen und imposanten Industriearchitekturen. Das Pendant zur Arbeitswelt bildete das scheinbar idyllische Leben in der Siedlung, inklusive Taubenzucht und Feierabendbier am Büdchen. Doch dann setzte das große und langsame Sterben ein. Ende der 1950er Jahre schlossen die ersten Zechen, zehn Jahre später die ersten Hütten. Hohe Arbeitslosigkeit, Leerstand und Bevölkerungsrückgang waren die Folge. Daran leidet die Region bis heute.

Im Zuge des Strukturwandels wurden zwar Ersatzindustrien angesiedelt, doch konnte die Misere nicht kompensiert werden. Immerhin veränderte sich mit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park die vormals verrohte und ausgebeutete Landschaft. So entstand in Duisburg auf dem Gelände einer ehemaligen Hütte der Landschaftspark Nord. An Möglichkeiten zur Gestaltung der Freizeit mangelte es für die, die es sich leisten konnten, auch 2009 nicht, als Laurenz Berges erstmals in der Stadt fotografierte. Für viele Bewohner war der Alltag nicht etwa hart, weil sie die körperliche Arbeit schlauchte, sondern weil sie ihre Jobs verloren hatten. Ein sprechendes Bild ist das Porträt eines farbigen Mannes, dessen Kleidung und Hände stark verschmutzt sind. Nicht die Arbeit im Pütt verdreckte ihn, dafür aber das Leben auf der Straße.

Indes sind Menschen auf den Fotografien von Laurenz Berges nur selten zu sehen, auf die wirtschaftlichen und sozialen und Fehlentwicklungen wird nur indirekt verwiesen. Stattdessen finden sich auf den Bildern Spuren von Abwesenheit, Verlassenheit und Verfall. Wiederkehrende Motive sind Transitzonen wie Hofeinfahrten und Hausflure, Hinterhöfe, unbeschriftete Klingelschilder, Brachgelände und Fassaden von leer stehenden oder kaum bewohnten Häusern. Ganze Siedlungen sind verlassen und warten auf ihren Abriss. Schon vor Jahren leistete die städtische Entwicklungsgesellschaft ganze Arbeit, als sie in multikulturellen Stadtvierteln wie Bruckhausen die Bagger anrollen ließ. Einige der Häuser, die Laurenz Berges in den vergangenen zehn Jahren dokumentierte, stehen nicht mehr. Die zugenagelten Fenster auf den Bildern wirken wie tote Augen.

Jahr um Jahr kochte der Pott. Und genau so wurde er jahrzehntelang in der Fotografie dargestellt

Dass Berges dennoch keine Elegie anstimmt, zeigen etwa die Innenansichten der Häuser. Deren Fenster und offene Haustüren verwehren dem Betrachter den Blick auf die krude Außenwelt, da sie von oft gleißendem Licht, das von draußen hereinfällt, ausgefüllt werden. Oft aber passte der Fotograf Situationen ab, in denen die Szenerie in warmes, weiches Tageslicht getaucht ist. Dadurch wird die Tristesse nicht überhöht, abstoßend wirkt sie aber auch nicht. Berges stellt die Stadt nicht bloß, er schaut nur anders auf ihre Schönheit. Manche Ansichten besitzen gar die Anmutung von Filmsets, die ein detailbesessener Requisiteur penibel nachgebaut hat, um authentisch zu wirken.

Für den Ortsunkundigen ist jedoch nicht zu erkennen, dass es sich um Motive aus Duisburg handelt. Selbst auf das schwerindustrielle Setting verweisen lediglich fünf Schornsteine, die auf einem Foto hinter einem Garagenhof aufragen. Beinahe sind die Orte auswechselbar, es sind Stellvertreter. Bekannte Orte mied Berges, oder er wählte Ausschnitte, die keine geografische Bestimmung zulassen. Lediglich der krumme, inzwischen zugeschüttete Matena-Tunnel, Schauplatz in TV-Krimis mit dem „Tatort“-Kommissar Schimanski, dürfte bekannt sein.

Laurenz Berges steht für eine zurückhaltende, gleichwohl nachhaltig wirkende Fotografie, die auf präziser Beobachtung fußt. Zur Präsentation seiner Bilder ist die Kontemplation begünstigende Museumsarchitektur in Bottrop wie gemacht. Leider aber auch geschlossen.

Ursprünglich bis 3. Mai, Josef Albers Museum Quadrat, Bottrop, Katalog (Koenig Books) 48 Euro

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