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„Beim Begräbnis feiern die Menschen das bunte Leben“

Löwen, Pumas, Stöckelschuhe, auch mal eine Pfefferschote: Die aktuelle, anrührende Ausstellung „Trauern. Von Verlust und Veränderung“ in der Hamburger Kunsthalle präsentiert unter anderem Figurensärge alter Religionen im Süden Ghanas, die neben dem Christentum weiter existieren. Dabei ist streng geregelt, wer die Symbole der Königsfamilien eigentlich nutzen darf und wer nicht

Kein Moden-Parcours, sondern Prototypen: Schuh-Särge aus Ghana Foto: Regula Tschumi

Interview Petra Schellen

taz: Frau Tschumi, was haben ghanaische Figurensärge in einer Kunstausstellung verloren?

Regula Tschumi: In der Ausstellung „Trauern“ der Hamburger Kunsthalle geht es ja unter anderem darum, wie Künstler den Umgang mit dem Tod verarbeiten. Und in Ghana gibt es diese spezielle Tradition, die Verstorbenen in Särgen zu bestatten, die mit dem Beruf oder einem Familiensymbol verbunden sind. Vor allem in Süd-Ghana haben sich einige Künstler darauf spezialisiert, solche Särge zu entwickeln. Sie haben es dabei zu solch einer Meisterschaft gebracht, dass es echte Kunstwerke sind.

Benutzt man solche Särge in ganz Ghana?

Ursprünglich hat sich dieser Brauch auf die Region von Greater­ Accra beschränkt, aber inzwischen ist er ziemlich verbreitet.­ Im gesamten Süden des Landes gibt es inzwischen Familien, die diese Särge benutzen. Gefertigt werden sie von ganz wenigen Künstlern. Kudjoe­ Affutu ist einer von ihnen, und oft kommen Menschen von weither, um diese Särge in Auftrag zu geben.

Nutzt vor allem die Oberschicht solche Särge? Ist das etwas für Reiche?

Es hat nichts mit der sozialen Schicht zu tun, im Gegenteil: Es sind eher die „einfachen“­ Leute – Handwerker, Fischer, Marktleute –, die diese Särge benutzen. Die Wohlhabenderen würden­ solche Särge eher nicht verwenden, weil sie sie als „heidnisch“ empfinden. Man ist ja christianisiert, und da ist der Figurensarg verpönt.

Aber nicht ganz Ghana ist christlich.

Nein, ungefähr die Hälfte. Der Norden ist muslimisch, der Süden christlich.

Und wer nutzt die Figurensärge?

Menschen aus dem Süden. Dort gibt es verschiedene afrikanische Religionen, sehr alt, sehr komplex. Sie bestehen parallel zum Christentum weiter: Viele Menschen gehen zwar in die Kirche, sind aber auch Anhänger der traditionellen Religionen. Vor allem im Süden, wo Königtümer noch sehr verbreitet sind.

Konkurrieren sie mit der Regierung?­

Nein, es ist eher eine Art Arbeits­teilung: Einerseits gibt es die für ganz Ghana zuständige Regierung. Daneben existieren Königtümer mit den traditionellen Chiefs als Oberhäuptern – etwa zur Schlichtung regionaler Streitigkeiten. Diese Chiefs sind der traditionellen Religion verbunden. Deshalb wird ein Chief oft in einem Sarg in Form eines Familiensymbols bestattet – auch wenn er daneben Christ ist.

In der Hamburger Ausstellung stehen auch Särge in Schuh- und Auto-Form. Vermutlich keine Familien­symbole...

Bei den Bestattungen in figürlichen Särgen existieren zwei Richtungen: Einerseits diejenigen, die ihr Totem oder Familienwappen verwenden. Alle, die zu der jeweiligen traditionell gläubigen Familie gehören, können diese Insignien nutzen. Daneben gibt es Menschen, die nicht in einem traditionellen Kult organisiert sind oder aus Spaß denken: Ich will, dass mein Onkel in einem Kanu bestattet wird, denn er war ein Fischer – oder in einem Turnschuh,­ weil er Schuh-Verkäufer­ war. Letztere­ sind die Nachahmer dieses eigentlich­ aus der Tradition stammenden Brauchs.

Woher stammt der Brauch?

Gewisse Könige in der Region von Accra bekamen früher – und teilweise noch heute – bei ihrer Amtseinsetzung eine Sänfte in Form ihres Totems. Darin wurden sie bei den Einsetzungs­riten und später auch bei anderen­ Feiern­ getragen. Da die Beerdigung eines Oberhauptes aber weitgehend dem Einsetzungsritus entsprach, musste man für sie einen Sarg anfertigen, der genauso aussah wie ihre einstige Sänfte. Aus diesen Sänften-­Kopien haben sich die heute verwendeten figürlichen Särge entwickelt.­

Welche Symbole nutzen die Königsfamilien?

Neben typischen Krafttieren wie Leopard, Löwe und Adler kann auch ein spezieller Baum oder etwa eine Pfefferschote Familiensymbol sein. Daneben gibt es weitere Totems, die in der Regel mit der Geschichte der Familie­ verbunden sind.

Darf jeder diese Insignien nutzen?

Nein, und deshalb haben die nicht zur Königskaste Gehörigen­ angefangen, Berufssymbole und Alltagsobjekte, unerfüllte Träume – etwa nach einem tollen Auto – für den Sarg zu verwenden.

„Die Wohlhabenderen würden solche Särge eher nicht verwenden“

Was würde passieren, wenn ein „Unbefugter“ das Symbol einer Königsfamilie nutzte?

Passieren würde wohl nichts. Aber alle würden es wissen und sagen: Das darf der nicht. Das ist wie ein ungeschriebenes Gesetz. Auch in eine Löwensänfte wird sich niemand einfach nur aus Spaß setzen.

Die in Hamburgs Kunsthalle präsentierten Figurensärge sind allerdings etwas klein geraten...

Ja. Es sind weder Särge noch Urnen-Behältnisse, sondern einerseits Prototypen, anhand derer der Künstler Kudjoe Affutu neue Ideen entwickelt. Er spielt manchmal herum und versucht, ein gehendes Tier anstelle eines stehenden zu bauen. Oder er versucht ein neues Material zu integrieren. Es sind also einer­seits Spielereien des Künstlers, andererseits Prototypen für Särge, die jemand bestellt hat.

Wurden sie eigens für die Ausstellung geschaffen?

Nein, sie stammen aus meiner­ in 15 Jahren entstandenen Privatsammlung. 2005 habe ich die ersten Objekte von Kudjoe Affutu gekauft und seither immer wieder.

Weilen Sie oft in Ghana?

Ich verbringe jedes Jahr drei bis fünf Monate dort. Angefangen hat es damit, dass ich meine Dissertation über diese Särge verfasst habe. So bin ich immer mehr in diese Materie hineingerutscht und habe mich mit den Hintergründen befasst. Ich arbeite viel mit Künstlern, fotografiere die religiösen Rituale und habe zwei Text-Bildbände darüber herausgebracht.

Welche Atmosphäre herrscht auf diesen Beerdigungen?

Total anders als in Europa – wobei natürlich jedes Begräbnis verschieden ist. Aber grundsätzlich sind Beerdigungen Feste. Es geht meist fröhlich und bunt zu. Man feiert nicht den Tod, sondern das erfüllte Leben des Verstorbenen. Im Süden Ghanas betrachtet man den Tod als Übergang in ein anderes Leben und stellt sich vor, dass die Verstorbenen ins Ahnenreich eingehen und irgendwann auf Erden zurückkehren. Der Tod gilt in dieser Region als Teil eines Kreislaufs. Deshalb ist eine Beerdigung kein Ereignis, bei dem man weint und traurig zurückblickt, sondern man schaut nach vorn und ist froh über alles, was man mit dem Verstorbenen erleben konnte.

Steht dahinter eine Wiedergeburts-Idee?

Ja. Zumindest die Ethnie der Ga in der Region Greater Accra glaubt, dass eine Generation übersprungen wird, die Enkel also die wiedergeborenen Großeltern sind.

Erleichtert ein schöner Sarg die Wiedergeburt?

Ja. Außerdem muss eine Person gut verstorben sein – also nach einem erfüllten Leben. Das heißt, man hat viele Kinder gehabt, sich stets großzügig gezeigt und einen guten Beruf gehabt. Wichtig ist auch eine würdige Beerdigung: Entsprechend würdig wird der Empfang im Ahnenreich sein. Daher beobachten die Ahnen und der Verstorbene das Begräbnis sehr genau, so der Glaube.

privat

Regula Tschumi

Jg. 1957, Kunsthistorikerin und Ethnologin, erforscht Bestattungsriten im Süden Ghanas, hat Bücher darüber verfasst und Teile der Hamburger Ausstellung kuratiert.

Was macht eine „angemessene“ Beerdigung aus?

Es ist wichtig, dass viele Leute kommen und die zugehörigen Riten vollziehen. Wenn ein König oder traditioneller Priester­ stirbt, kann eine Beerdigung Tage dauern, und es müssen viele Rituale durchgeführt werden. Andernfalls riskiert man, dass diese Person den Wiedergeburts-­Rhythmus nicht beibehalten kann.

Wie heißt diese ghanaische Religion eigentlich?

Es gibt verschiedene religiöse Kultgruppen. Für die erwähnten Ga im Raum Accra ist vor allem der Kpele-Kult wichtig. Daneben gibt es weitere Kultgruppen, die aber nichts mit dem bei uns bekannten Voodoo zu tun haben. Vor allem beim Kpele-Kult gibt es zudem erstaunliche Verbindungen zum Alten Testament der Bibel. Viele Ga – vor allem die traditionellen Priester – glauben, ihre Ahnen seien einst aus dem Mittleren Osten nach Westafrika eingewandert.

Haben Sie ein Beispiel für Parallelen zum Judentum?

Einer der wichtigsten Götter­ im Kpele-Kult heißt Tsawe; die Parallele zum jüdischen Jahweh drängt sich auf. Auch glauben die Ga an ein Schöpferpaar – wie in Judentum. Das Paar heißt in Ghana Ataa Naa Nyongmo – „Großvater Großmutter Gott“. Götter wie Tsawe sind Mittler zwischen den Menschen und dem Schöpferpaar, mit dem man nicht direkt in Kontakt treten­ kann.

Auch die Erdbestattung ist eine Parallele. Wo findet sie in Ghana statt?

Offiziell auf dem Friedhof. Diesen Ort haben allerdings erst die europäischen Kolonial­herrn nach Ghana gebracht. Früher­ hat man die Menschen im Haus bestattet. Das ist zwar inzwischen verboten. Aber wo die wichtigen Chiefs und Könige bestattet sind, weiß man nicht genau. Das ist geheim.

Rezension der Ausstellung „Trauern. Von Verlust und Veränderung“ in der Hamburger Kunsthalle: https://taz.de/Hamburger-Ausstellung-ueber-Trauer/!5664554/

Bilder der Ausstellung unter www.hamburger-kunsthalle.de

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