: Dreht Experimentalfilme und macht Kino
METROPOLENPORTRÄT Los Angeles in zwei Minuten. Aber das 35-mal. James Bennings „Los“ setzt die Arbeit, die Architektur, die Natur, die Infrastruktur und den öffentlichen Raum der Westenküstenstadt ins strikte Bild
ANDREAS BUSCHE
James Benning dreht Experimentalfilme und macht Kino. Auf den ersten Blick scheint in diesem Satz ein Widerspruch zu liegen. Doch es gibt nur wenige zeitgenössische Avantgarde-Filmmacher, die über die Jahre ähnlich nachdrücklich an der Aufhebung dieser Dichotomie gearbeitet haben. (Ein anderer ist der Österreicher Peter Kubelka.) Die Unterscheidung zwischen Experimentalkunst und den Formen des klassischen Kinos wirft Fragen auf, die direkt ins Herz von Bennings Arbeiten vorstoßen.
Dabei würde niemand auf die Idee kommen, seine Filme an den Kriterien des Kinofilms zu messen. Und dennoch eröffnet erst die kritische Berücksichtigung klassischer filmischer Formen, denen der Filmmacher sich auch in seinen persönlicheren Arbeiten nie verschlossen hat, einen Zugang zu Bennings Werk. Es steht heute wie ein Solitär zwischen den Institutionen Museum, Kinosaal und Kulturfernsehen – das die Extravaganzen Bennings zu einem Großteil finanziert.
Bennings filmischer Ansatz ist streng vom Material her gedacht: dem Filmmaterial in seiner Plastizität (Körnung, Lichtempfindlichkeit, Tonalität) und dem vorgefundenen, der Landschaft, die er mit dem Sucher seiner Kamera „modelliert“.
Dieser Gestaltungswille kommt erst auf der Kinoleinwand zu voller Geltung. Bennings Weigerung, seine Filme auf DVD zugänglich zu machen, ist dabei auch als Skepsis gegenüber unseren modernen Sehgewohnheiten zu verstehen. Für das Zappen (sei es durch DVD-Kapitel oder helle Ausstellungsflächen) sind Bennings Filme zu rigoros konzipiert.
In den offenen Räumen eines Museums würden seine strukturalistisch beeinflussten Arbeiten unweigerlich einen skulpturalen Charakter annehmen. Sein Material zielt nicht auf kurze, sensuale Intensitäten ab, es muss in seiner umfassenden Tiefe und Dichte auch in einem zeitlichen Zusammenhang erfahren werden. Also sperrt Benning den Betrachter in einen dunklen Raum. Manchmal muss man eben die Menschen zu ihrem Glück zwingen.
Die inzwischen abgeschlossene Kalifornien-Trilogie (1999–2001) ist ein Paradebeispiel für Bennings Arbeitsweise. Überzeugen kann man sich davon nun anhand von „Los“ dem Mittelstück des Triptychons, das diese Woche recht unvermittelt und ganze neun Jahre nach seiner Berlinale-Premiere erstmals regulär in den deutschen Kinos startet.
Das Schöne an Bennings Filmen ist jedoch aber, wie wenig die Zeit ihnen letztlich anhaben kann – umso erstaunlicher, stellt Zeit immerhin seine wichtigste Arbeitsressource dar. Alle drei Kalifornien-Filme sind nach demselben Prinzip strukturiert: Sie bestehen aus 35 statischen 2-Minuten-Einstellungen, die sich kommentarlos aneinanderreihen. Erst der Abspann gibt minimale Hintergrundinformationen preis. Manchmal fügen sie dem Gesehenen eine neue Ebene hinzu, aber im Grunde ist jede Sequenz autonom. Unvorbelastet sind die Bilder deswegen noch lange nicht. Nach „El Valley Centro“ über die Agrarlandschaften des Great Central Valley befasst sich Bennings in „Los“ mit einem Mythos: dem Großraum Los Angeles. Ein Ort, von dem sich jeder Betrachter schon sein Bild gemacht hat. Benning selbst nimmt sich da nicht aus.
Benning nähert sich seinem Wohnort Los Angeles mit dem skeptischen Blick des Kulturkritikers Mike Davis, dessen Standardwerke „City of Quartz“ und „Ökologie der Angst“ eine neue Topografie Südkaliforniens entwarfen. Kaum ein Flecken Natur (ausgenommen vielleicht der niederländischen Küstenregion) ist in den vergangenen hundert Jahren auf ähnlich drastische Weise kultiviert und urbanisiert worden.
Benning zeigt ungerührt die Auswirkungen dieser Entwicklung. Spuren, die der Mensch in der Landschaft hinterlassen hat: ein Aquädukt, eine Raffinerie, Highways, ein Einkaufszentrum, die ewiggleichen vorstädtischen Straßenzüge voller Billboards und Autohändler, ein Müllplatz, ein Baseballstadion, ein Containerschiff, Lastwagen, Autos.
„Los“ besitzt noch nicht den kontemplativen Charme seiner letzten Filme über Himmel, Seen und Züge. Oftmals wirken die starken Lautstärkeschwankungen zwischen den einzelnen Segmenten wie ein Schock, wenn Bennings beispielsweise von einem Bolzplatz zu einer stark befahrenen Kreuzung schneidet. Doch man kann sich dem metrischen Groove seiner Montage nicht entziehen. Alle 2 Minuten ist Schluss, unwiderruflich.
Eine weit verbreitete Ansicht über Bennings Filme lautet, dass in ihnen rein gar nichts passiere. Auch dieses Vorurteil widerlegt „Los“ mehr als eindrucksvoll. Benning erweist sich mit seinen Miniaturen als ebenso versierter Geschichtenerzähler wie ein Robert Altman. „Los“ entfaltet ein Panorama des städtischen Lebens, er funktioniert als Ensemblefilm im weitesten Sinne. Jedes Segment fügt sich in die große Erzählung ein, bis die inneren Zusammenhänge sichtbar werden. Man kann sich für Bennings Geschichten keinen besseren Ort als das Kino wünschen.
■ James Benning: „Los“, 90 Minuten, USA 200
Zu sehen im fsk-Kino am Oranienplatz, Segitzdamm 2, täglich um 18.30 Uhr
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