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Adam und Eva, Hase und Jaguar auf dem Schwan

Bei der Biennale in Venedig bespielte Kris Lemsalu den estnischen Pavillon. In den KW feiert die Künstlerin die Liebe – ihre eigene und die Liebe an sich. Reicht das?

Kris Lemsalu Malone vor einem Bild ihres Partners Kyp Malone Lemsalu aus der „Love Song Sing-Along“- Serie“ Foto: Frank Sperling

Von Beate Scheder

Wenn eine Katze, wie es heißt, sieben Leben hat, wie viele hat dann ein Jaguar? Was seine körperlichen Fähigkeiten angeht, hat er dem gemeinen Stubentiger einiges voraus, an Sprungkraft etwa oder Beißstärke. Ein Jaguar kann seine Beute mit einem Sprung erlegen und sogar Schildkrötenpanzer zerbeißen. Auf freier Wildbahn begegnen will man einer solchen Kreatur wohl eher nicht, mit ihr Rollen tauschen vielleicht aber schon. Auf Kris Lemsalu (*1985) trifft das jedenfalls zu. In ihrer Ausstellung in den KW Institute for Contemporary Art – Lemsalus erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland – dient die elegante Raubkatze als Alter Ego der Künstlerin, die, spätestens seit sie bei der vergangenen Biennale in Venedig den estnischen Pavillon bespielte, als eine der spannendsten Künstlerinnen ihrer Generation gilt.

Auffällig ist Lemsalu allein schon wegen der exzentrischen Kostüme, die sie bei öffentlichen Auftritten zu tragen pflegt, vor allem aber wegen der mystisch-visionären Alternativwelten, die sie in ihrer Kunst entwirft. So konzentriert sie sich bei ihrer Version des Jaguars auch weniger auf die zoologische Realität als auf die mythologische Deutung des Tieres, dessen Gestalt in der Vorstellung der Mayas etwa der Gott der Unterwelt trägt. Auch blutrünstig geht es in den KW keineswegs zu. Zwar zeigt der Jaguar seine Zähne, ist letztlich jedoch gefährdeter als gefährlich, weil aus feinem Porzellan geformt. Überhaupt dreht sich Lemsalus Ausstellung um eine ziemlich leicht zerstörbare Angelegenheit: Um die Liebe geht es, das verrät bereits der Titel „Love Song Sing-Along“.

Zur Seite steht der Katze daher ein ebenfalls fabelähnlich vermenschlichter Hase, Stellvertreter für Lemsalus Mann, den Musiker Kyp Malone, mit dem sie auch für die Schau zusammenarbeitete. Als Fortbewegungsmittel dient ihnen eines jener kitschigen Tretboote in Schwanenform. Die Porzellanfiguren schippern darin über einen Ozean aus drapierter Bauplane, aus dem wiederum Birkenstämme aufragen – entsprechend ummantelte Säulen. Es ist eine fröhlich bunte Märchenlandschaft, die durch eine Reihe auf Vorhangstoff gedruckte Zeichnungen, die drumherum flattern eine fast sakrale Anmutung erhält. Lemsalu und Malone – von ihm stammen die Bilder – erscheinen auf diesen als Protagonist:innen einer Schöpfungs- oder auch turbulenten Beziehungsgeschichte, als Adam und Eva, als Hase und Jaguar zwischen dem Baum des Lebens und, da schließt sich der Kreis, per Schwanenboot dahinsegelnd.

Mit Tieren hat Lemsalu es schon länger. Bekannt wurde sie mit einer Schildkröte, als die sie 2015 in einer performativen Installation auf der New Yorker Kunstmesse Frieze erschien. Stundenlang lag sie damals halb verborgen unter einem riesigen aus Porzellan gefertigten Schildkrötenpanzer, umgeben von zu Türmen gestapelten, gefüllten Eierkartons und bewacht von einem grinsenden, bunt bemalten Porzellantiger. „Whole alone 2“ war ein Sinnbild für den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, im existentiellen wie auch im professionellen Sinne, diente ihr der Panzer auf der Messe doch gleichsam als Versteck vor den Grauen der kommerzialisierten Kunstwelt und dem damit verbundenen Produktionsdruck für aufstrebende Künstler:innen.

Viel Echo fand auch Lemsalus Ausstellung 2018/19 in der Wiener Seccession, wo sie zwei gesichtslose Wächterfiguren mit Krakenarmen aufstellte, in die man Fragen nach Macht und Zugang in Kunst wie Gesellschaft hineininterpretieren konnte. Andere Arbeiten wie „Birth of Venus“ (2010) spielen auf die Objektivierung weiblicher Körper an, auch die gezähnte Vaginas und Vulven sind wiederkehrende Elemente in Lemsalus feministisch geprägter Bildsprache. Ganz entschlüsseln lässt sich diese freilich nie, im Vordergrund steht vielmehr die sinnliche Erfahrung, zu der die handwerkliche Virtuosität, mit der Lemsalu insbesondere ihre Porzellanskulpturen gestaltet, einiges beiträgt.

Die gezähnte Vagina ist ein häufiges Element in Lemsalus Bildsprache

Dank dieser verzeiht man Lemsalu auch die etwas zu süßlich geratene Botschaft, mit der sie in den KW augenscheinlich die eigene (heteronormative) Liebesbeziehung feiert. Wobei natürlich gegen die Liebe an sich nichts einzuwenden ist, gerade in Zeiten wie diesen. Und eigentlich geht es Lemsalu auch nicht nur um ihre eigene Liebe, sondern um eine universale, hippiehafte Idee von Zusammengehörigkeit.

Konsequent ist es so gesehen, dass Lemsalu in den KW wie schon in Venedig auf die Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen, vor allem mit ihrem Partner Malone setzt, schade jedoch, dass sie dabei den anderen mehr Raum lässt als sich selbst. Von ihr hätte man gerne mehr gesehen, vor allem auch bei der enttäuschenden Eröffnungsperformance, die Malone mit ein wenig Love-Song-Singsang quasi allein bestritt.

Von Natur aus ist der Jaguar übrigens ein Einzelgänger.

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