piwik no script img

Flucht aus SyrienBekämpft die Ursachen!

Gastkommentar von Daniel Steinmaier

Europa will Flüchtende fernhalten. Die stehen aber an der Grenze, weil nichts zu ihrem Schutz unternommen wurde.

Von der EU mitfinanziert: Mauer an der syrisch-türkischen Grenze Foto: Khalil Ashawi/reuters

D ie Bilder von der türkisch-griechischen Grenze sind schockierend. Aber das menschenrechtliche Versagen Europas beginnt nicht erst mit Tränengas und Schüssen gegen Flüchtende. Das Versagen Europas beginnt, wo wir schulterzuckend zulassen, dass Autokraten und Diktatoren Zivilist*innen massakrieren. Es beginnt dort, wo schwerste Kriegsverbrechen straflos bleiben und die Täter gar noch auf diplomatische Schmeicheleien, wirtschaftliche Kooperation oder Rüstungsgüter hoffen dürfen.

Allein seit Dezember 2019 haben das Assad-Regime und die russische Luftwaffe fast eine Million Menschen in der Region Idlib in Richtung türkischer Grenze vertrieben. Sie fliehen vor einem Regime, das in den letzten neun Jahren Hunderttausende Menschen inhaftiert und Zehntausende zu Tode gefoltert hat – oft nur, weil sie als illoyal gegenüber dem syrischen Staat galten. Die EU hat dabei zugesehen.

Daniel Steinmaier

arbeit für die Leipziger NGO „Adopt a Revolution“. Der Verein unterstützt die Arbeit der syrischen Zivilgesellschaft und vermittelt Informationen aus der syrischen Demokratie­bewegung.

Gekümmert hat sich die EU nur darum, dass es die fliehenden Syrer*innen nicht nach Europa schaffen – und hat dafür Erdoğan als Türsteher eingekauft: Mit EU-Geld hat er an der syrischen Grenze eine meterhohe Mauer errichten lassen. An deren Wand stehen die Syrer*innen in Idlib nun mit dem Rücken. Weil der Druck auf die Grenze immer größer wird, geht die Türkei jetzt militärisch gegen Assads Offensive vor – und hat Tausende Flüchtlinge an die EU-Grenzen geschickt, um dafür Unterstützung von der EU zu erpressen.

Doch die Flüchtlinge stehen nicht an den Grenzzäunen Europas, weil Erdoğan sie schickt. Sie stehen dort, weil die EU nichts zu ihrem Schutz unternommen hat. Wenn die EU ihren menschenrechtlichen Ansprüchen auch nur ein bisschen näher kommen will, muss sie eine außenpolitische Kehrtwende vollziehen. Die europäischen Staaten müssen endlich eine aktive Friedenspolitik verfolgen, etwa indem sie eine UN-Schutzzone ins Spiel bringen, und sie dürfen es nicht der Türkei überlassen, die syrische Zivilbevölkerung vor Bombardements zu schützen. Es gilt, nicht die Symptome zu bekämpfen, sondern die Ursachen – und die liegen in Syrien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen