: Deutschstundeauf dem Ölberg
30 Jugendliche aus Hamburg-Wilhelmsburg reisen für ein Theaterprojekt nach Israel, Martin Steimann ist mit der Kamera dabei. Mehr als von ihrem Stück oder der fremden Bühne handelt sein Dokumentarfilm „Why Should I Care?“ von Klischees und Erwartungen
Von Wilfried Hippen
Eine deutsche Reisetruppe, in der Mehrzahl Jugendliche mit muslimischen Wurzeln – in Israel? Das sorgt schon bei der Einreise auf dem Flughafen Tel Aviv für Irritationen. Und so fühlen sich die 30 Reisenden aus Hamburg-Wilhelmsburg erst mal wenig willkommen auf israelischem Boden. (Von Sicherheitskräften aussortiert und dann vielleicht noch ein paar Stunden lang aufgehalten zu werden, das passiert bei dieser Einreise allerdings auch anderen.)
Nach Israel gefahren sind die Wilhelmsburger*innen im Oktober vergangenen Jahres, um dort ein Theaterstück zu Themen wie Rassismus und Antisemitismus zu entwickeln – gemeinsam mit 20 Jugendlichen aus dem Kibbuz Gevim in Sderot. Als Einmann-Filmteam, sozusagen, hat Martin Steimann die Gruppe begleitet, und herausgekommen ist dabei der Dokumentarfilm „Why Should I Care?“.
Fast genau so, nämlich „Why Should I Care about Your History?“, ist ein Theaterprojekt am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Wilhelmsburg überschrieben, einem lange eher vernachlässigten Stadtteil mit hohem Bewohner*innenanteil migrantischem Hintergrunds und teils auch muslimischem Glaubens. Initiiert hat es der Leiter der dortigen Theater-AG, Hédi Bouden. 2018 hatte Bouden schon das ähnlich aufwendige Schultheaterprojekt „Kein deutscher Land“ durchgeführt, dessen Abschluss dann Aufführungen in Tel Aviv und Jerusalem waren.
Aus den dabei geknüpften Kontakten entwickelte sich das neue, vielleicht noch ambitioniertere Projekt: Deutsche und israelische Schüler*innen entwickeln zusammen ein Theaterstück und besuchen einander dann jeweils. Filmemacher Steimann bekam ursprünglich den Auftrag, das gesamte Projekt zu dokumentieren, entschied sich dann aber dafür, das Thema aufzuteilen: „Why Should I Care?“ist nun der erste Film, der sich auf die Reise der Deutschen nach Israel und das dortige Zusammentreffen der beiden Gruppen zu konzentrieren. Der zweite wird dann von der Deutschland-Reise der Israelis sowie der Premiere des Theaterstücks handeln.
Denn für den Regisseur stellte sich die Geschichte von 30 deutschen Jugendlichen in Israel, die so gar nicht den Erwartungen und Klischees entsprachen, die dort über deutsche Tourist*innen herrschen, viel interessanter dar als die gemeinsame Arbeit am Theaterstück: Die jungen Mädchen mit ihren Kopftüchern provozieren einige israelische Passant*innen. Als eine deutsche Touristin unbedingt Handyfotos von ihnen machen will, führt das zu einer lauten Auseinandersetzung unter freiem Himmel.
In Jerusalem beglückwünscht ein Rabbiner die Gruppe enthusiastisch zu ihrem Engagement und ihrer Toleranz. Eine rasche Online-Recherche bringt ans Licht: Der Mann ist ein Eiferer und will Muslime gänzlich aus der Stadt verbannen. Sein Schauspiel vor der deutschen Kamera: auch eine Form von Theater.
Solche Erfahrungen werden ins entstehende Stück einfließen, das legt Steimann mit dieser Sequenz nahe – eingeleitet mit dem pädagogisch lesbaren Zwischentitel: „Wem schenken wir Vertrauen?“ Es gibt mehrere solcher eingeblendeten Sätze, die erinnern an Lernziele, wie sie zu Beginn von Schulstunden vielleicht an die Tafel geschrieben werden: „Wer bist du?“ – „Sind wir uns einig?“ – „Wer macht uns zu Feinden?“ – aber auch, im Falle des Berichts einer Auschwitz-Überlebenden: „Die Reise in den Tod“.
Mit seiner Kamera ist Steimann nah dran am Geschehen, immer wieder spürt man, dass die Jugendlichen nicht mehr daran dachten, dass er sie gerade filmt. Als eine Schülerin angesichts der schrecklichen Erzählungen in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Tränen ausbricht, nimmt die Über-80-Jährige der Auschwitz-Überlebende den Teenager tröstend in die Arme. Solche Bilder gelingen Steimann, weil er nichts forciert, nur beobachtet.
An Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, wandert die Gruppe auf den Jerusalemer Ölberg – und erfährt vom Anschlag auf die Synagoge in Halle. Auch dies ist einer der Schlüsselmomente des Films: Der Gruppe wird klar, dass sie, aus Deutschland kommend, nach dieser antisemitischen Terroraktion mit anderen Augen gesehen werden. Wut kommt auf, Tränen fließen.
So gut kann die geplante Theateraufführung die titelgebende Fragestellung nicht auf den Punkt bringen, und vielleicht auch deshalb ist dann das Zusammentreffen der deutschen und jüdischen Jugendlichen und ihre gemeinsame Arbeit am Stück eher eine Enttäuschung: Während die Wilhelmsburger*innen durch die Arbeit mit Projektleiter Bouden daran gewöhnt sind, zu improvisieren und die Stücke selbst zu entwickeln, spielen die jungen Israelis klassische Stücke, von Shakespeare etwa, in traditionellem Schultheaterrahmen.
Steimann handelt diesen zweiten Akt seines Films eher kurz und wenig inspiriert ab: Keine*r der israelischen Jugendlichen tritt als Individuum in Erscheinung. Aber auch die Deutschen erscheinen in diesen Sequenzen von den Proben und der einzigen Vorstellung in einem Kellertheater in Tel Aviv als unpersönliche Gruppe. In diesem zweiten Akt ist „Why Should I Care?“ mehr ein Dokument als ein Dokumentarfilm. Einige Bilder, wenigstens, vom Gegenbesuch der Israelis vor einigen Wochen, hätten da vielleicht geholfen.
In der Erinnerung bleiben nun vor allem Bilder wie das: Als die muslimischen jungen Deutschen am Strand von Tel Aviv zu türkischer und kurdischer Musik tanzen sehen wir auch das strahlende Gesicht einer zuschauenden israelischen Frau. Ihr Strahlen ist vielleicht die beste Antwort auf die Frage, die der Titel stellt – „Why Should I Care?
„Why Should I Care?“, D 2020, Regie, Kamera und Schnitt: Martin Steimann, 93 Min.
Das Hamburger Abaton-Kino bietet Schulvorstellungen des Films am Vormittag an. Reguläre Vorführungen sind für April im Metropolis Kino geplant.
Der Regisseur im Netz: www.martinifilm.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen