: Die Grausamkeit der Würstchen
Jörn Birkholz’schnörkellose Kurzgeschichten, die der Band „Der Obermieter“ versammelt, sind noch deutlich schwerer verdaulich als seine emotional unterkühlten Romane und dabei genauso gut
Von Jan-Paul Koopmann
Selfcare ist das Gebot der Stunde und hilft bestimmt beim Durchhalten in schlechten Zeiten wie unseren. Wer nun zu diesen Menschen gehört, die sich in dicken Wollsocken aufs Sofa lümmeln, um „ein gutes Buch“ zu lesen, der sollte tunlichst die Finger lassen von Jörn Birkholz. Oder wenigstens von seinen Texten. Seine Romane sind emotional unterkühlt und sozial verfinstert, hauen einem das gesamte Elendsportfolio kleinbürgerlichen Existierens so schnörkellos um die Ohren, dass einem körperlich unwohl dabei wird. Bemerkens-, nein: geradezu bewunderswert ist, dass Birkholz dazu weder psychologische Tricks bemüht noch sich an wahnsinnig extremen Geschehnissen abarbeitet. Die Romane des Bremer Autoren bleiben im besten Sinne an der Oberfläche und schnipsen nur leicht an, was die Welt selbst an Schlechtigkeit zu bieten hat.
Sein neues Buch, „Der Obermieter“, ist aber gar kein Roman, sondern erstmals eine Sammlung von Kurzgeschichten. Leichter verdaulich ist es darum nicht – im Gegenteil würde ich behaupten: Das Buch ist exakt 25-mal schlimmer als sein Vorgänger, weil die Geschichten überraschenderweise gar keinen langen Atem brauchen, sondern das Elend auch auf wenigen Seiten punktgenau festzunageln vermögen. In Birkholz’schnörkelloser Sprache versiffen diese Menschen sofort und unmittelbar plastisch, betrügen einander, haben so herz- wie lustlosen Sex oder werfen auch mal einen Hund aus dem Autofenster.
Extremer wird es kaum und selbst, wo Pointen dem Ganzen immerhin einen formalen Abschluss zugestehen, stellt sich darum keine Ruhe ein. Man kann und wird einigen der Geschichten misstrauen, nie aber den furchtbaren Menschen darin.
Manche seiner Szenen hat Birkholz auf der Straße erlebt, andere im Fernsehen gesehen. Es macht keinen Unterschied, nur schlechte Laune. Und wahrscheinlich ist das auch der Grund, aus dem ich’s trotz Schmerzen gerade zum dritten Mal lese: weil diese Banalität des Gemeinen, das nicht mal richtig böse, sondern schlicht echt ist, so dermaßen fasziniert. Und weil man eine Ahnung davon bekommt, dass eine Welt, die solche Menschen möglich macht, keine ist, in der man es sich auf dem Sofa gemütlich machen möchte.
Jörn Birkholz: „Der Obermieter“, Kulturmaschinen -Verlag, 252 Seiten, 16 Euro
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