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Jeden Tag rund 200 Veganer mehr

Beim „Veganuary“ fanden 60 Prozent den Einstieg in eine vegane Lebensweise einfacher als erwartet, meist geht es flexitarisch los

Die Nachfrage pusht das Angebot: das vegane Restaurant Veg Eats in Delray Beach/Florida Foto: Thomas Cordy/ZUMA Press/imago

Von Katja-Barbara Heine

Ohne Tierprodukte ins Jahr 2020 starten und im Januar ausschließlich vegan essen: Rund 400.000 Menschen haben mit diesem Vorsatz an der „Veganuary-Kampagne“ teilgenommen. Die Aktion der gleichnamigen britischen NGO wird von prominenten Veganern wie Joaquin Phoenix, Paul McCartney oder Kaya Yanar unterstützt und fand dieses Jahr erstmals auch in Deutschland statt. Ziel ist es, möglichst viele Menschen für einen pflanzlichen Lebensstil zu begeistern. „Für Jahr eins sind wir mit der Resonanz in Deutschland mehr als zufrieden“, sagt Ria Rehberg, Tierschutzaktivistin und CEO bei Veganuary. „Wir sehen uns bestätigt darin, dass die Zeit reif ist für ein Umdenken: weg von Tierprodukten und hin zu pflanzlichen Alternativen.“

Die Rückmeldungen der Teilnehmer machen Mut: 60 Prozent fanden den Einstieg in eine vegane Lebensweise einfacher als erwartet, 47 Prozent wollen weiterhin vegan leben, 77 Prozent das vegane Experiment in Zukunft wiederholen. Die Hälfte gab an, durch die Aktion neue Produkte entdeckt zu haben (Zahlen vom letzten Jahr). Auch Unternehmen unterstützten die Kampagne: Neben veganen Firmen wie dem Kokos-Joghurt-Produzenten Harvest Moon, dem Käseersatz-Hersteller Simply V oder der Haferdrink-Marke Oat­ly, nahmen Lebensmittelriesen wie Aldi, Rossmann und Dr. Oetker teil, um auf ihr veganes Angebot aufmerksam zu machen. Rossmann rief sogar alle MitarbeiterInnen auf, den Selbstversuch zu starten und im Januar vegan zu essen.

Rund 1,3 Prozent der Bundesbürger leben laut Institut für Demoskopie (IfD) Allensbach vegan, einer Erhebung von YouGov und Statista zufolge sind es 4 Prozent. Sicher ist ein starker Aufwärtstrend: 2008 gab es laut Nationaler Verzehrstudie weniger als 0,1 Prozent Veganer. 2016 waren es laut IfD Allensbach 1,1 Prozent. Und täglich kommen etwa 200 Veganer hinzu.

Noch nie war es in Deutschland so einfach wie heute, vegan zu leben. Bundesweit gibt es etwa 250 rein vegane Restaurants – allein in Berlin sind es 75 –, fast jeder Supermarkt hat vegane Produkte im Regal und sogar die Fast-Food-Industrie macht mit: McDonald’s brachte im April 2019 den Big Vegan TS Burger heraus, bei Call a Pizza stehen vier vegane Pizzen auf dem Menu und Ikea serviert einen veganen Hotdog. Die Messe Veggie-World findet mittlerweile in sieben deutschen Städten – und zahlreichen weiteren in Europa und Asien – statt, und das vegane Sommerfest geht bereits in die 13. Runde. An mehr als hundert Ständen können im August auf dem Berliner Alexanderplatz vegane Produkte probiert und gekauft werden.

Bei den veganen Lebensmitteln zählt Deutschland zu den Marktführern: Der Organisation ProVeg International zufolge werden mehr als 10 Prozent aller Produkte hierzulande entwickelt. Zwischen 2013 und 2015 hat sich der Absatz von Fleisch­ersatzprodukten verdreifacht. Größte Zielgruppe sind übrigens nicht die Veganer, sondern Flexitarier, die etwa 40 bis 60 Prozent der Bevölkerung Westeuropas ausmachen. Sie ernähren sich vorwiegend vegetarisch, essen gelegentlich aber auch mal Fleisch und sind leckeren pflanzlichen Alternativen gegenüber aufgeschlossen.

Zufällig vegan“ von Marta Dymek zeigt, dass Ersatzprodukte gar nicht sein müssen, weil es genug Gerichte gibt, die von Natur aus vegan sind, darunter Spaghetti Napoli, Hummus oder Bayerischer Kartoffelsalat. Das Rezeptbuch ist im Smarticular Verlag erschienen, 16,95 Euro.

Greenprint. Pflanzliche Ernährung / Gesunder Körper / Bessere Welt“: Marco Borges erklärt die neue Lifestyle-Bewegung aus dem USA. Anleitungen, Tipps, Rezepte. Erschienen im Südwest Verlag. 26 Euro.

„In der Öffentlichkeit wächst das Bewusstsein, dass unsere derzeitige Vorliebe für tierische Lebensmittel viele unerfreuliche Nebenwirkungen hat“, erklärt Sebastian Joy, CEO von ProVeg International, diese Entwicklung. „Es wird immer klarer, dass ein Wandel des globalen Ernährungssystems durch die Ersetzung von Tierprodukten durch attraktive pflanzliche Alternativen eine Multiproblemlösung werden kann: besser fürs Klima, die Umwelt, die Gesundheit und das Gesundheitssystem, die Gerechtigkeit in der Welt und das Tierwohl.“

Für die meisten Veganer ist vor allem das letzte Argument ausschlaggebend, wie eine Studie der veganen Supermarktkette Veganz zeigt, für die 24.000 Menschen in 15 europäischen Ländern zum Thema Veganismus befragt wurden. Demnach ist für 95 Prozent der Tierschutz Hauptmotivation, vegan zu leben. 84 Prozent gaben die Umwelt, 56 Prozent die eigene Gesundheit als Grund an. Die Studie zeigt auch, dass Veganer bewusst konsumieren: 86 Prozent legen bei Lebensmitteln Wert auf Nachhaltigkeit, 75 Prozent achten auf Label und Siegel und 71 Prozent kaufen Bioprodukte. Das am häufigsten konsumierte Ersatzprodukt sind Milchdrinks. Knapp 86 Prozent achten auch auf tierleidfreie Kleidung und Kosmetik. 46 Prozent kochen täglich selbst.

Im internationalen Vergleich gibt es Unterschiede: Während sich die Deutschen im Großen und Ganzen gut mit Ersatzprodukten versorgt fühlen, vermissen ganze 78 Prozent der kroatischen Veganer Wurst- und Käse-Alternativen. 82 Prozent der Briten wünschen sich mehr vegane Backwaren. Und in Griechenland fehlen tierproduktfreie Süßigkeiten. Dass man vom Fleischesser direkt zum Veganer wird, ist übrigens relativ selten. 70 Prozent der befragten Veganer lebten bereits eine Zeit lang vegetarisch, bevor sie Tierprodukte komplett vom Speiseplan verbannten.

https://veganz.de/veganzernahrungsumfrage/

https://de.veganuary.com/; https://proveg.com/de/