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Milder Winter„Das ist schon ungewöhnlich“

Der Januar war viel zu warm. Aber es könnte doch noch schneien, etwa im März. Denn „alles ist möglich“, sagt Meteorologe Norbert Becker-Flügel.

Schneeglöckchen im Tiergarten Foto: dpa
Interview von Claudius Prößer

taz: Draußen nieselt es grau in grau. Wird das noch was mit diesem Winter?

Norbert Becker-Flügel: Kann, muss aber nicht. Wenn man sich die Wettermodelle für die nächsten 14 Tage anschaut, haben wir insgesamt schon eher die milde Wintervariante. Was nicht heißt, dass es nicht auch mal kurz kalt werden kann und vielleicht auch ein paar Schneeflocken dabei sind.

Und über diese zwei Wochen hinaus?

Darüber hinaus ist noch alles möglich. Der Winter kann noch spät kommen, auch der März kann noch kalt werden. Das späteste Datum, zu dem im Berliner Raum eine Schneedecke registriert wurde, war ein 1. Mai, im Jahr 1970. Das ist natürlich der Extremfall. Aber auch in den vergangenen Jahren lag ja eher an Ostern als an Weihnachten Schnee. Die Chancen für ein wirklich strenges Winterszenario schätze ich aber nicht als allzu hoch ein.

Im Interview: Norbert Becker-Flügel

ist Diplom-Meteorologe bei der Wettermanufaktur GmbH mit Sitz in Berlin, siehe wettermanufaktur.de.

Sticht dieser Januar in der Statistik als außergewöhnlich warm heraus?

Er war bis jetzt knapp 5 Grad zu warm. Damit liegt er im Rahmen der letzten hundert Jahre, also seit Beginn der systematischen Aufzeichnungen, auf den obersten Rängen. Das ist schon ungewöhnlich. Und wir haben am 29. 1. einen Rekord gebrochen: Dass es bis zu diesem Tag noch gar keine geschlossene Schneedecke gab, hatten wir seit Beginn der Aufzeichnungen noch nicht, das späteste Datum war bislang der 28. Januar, das war 1925.

Was müsste passieren, damit Schnee fällt?

Die vorherrschenden Windrichtungen sind zurzeit leicht Nord- bis Südwest oder Süd, und von dort kommt eben nur mäßig kalte bis milde Luft – mal von der Nordsee, mal aus dem südlichen atlantischen Bereich. Es fehlt eine Wetterlage mit anhaltendem Wind aus Skandinavien oder aus Osteuropa, wo allerdings im Moment auch keine richtige Kälte zu finden ist. Südfinnland ist teilweise frostfrei, und auch wenn es in Russland frostig kalt ist, liegen die Temperaturen dort für die Jahreszeit deutlich über dem Mittel.

Wenn jemand so richtig die Kälte vermisst, wo müsste der hinfahren?

Kanada. Da liegt derzeit der Kältepol, da ist es anhaltend extrem kalt.

Zurück in unsere Region: Beschreiben die Wintertemperaturen große Kurven? Anders gesagt: Ist es normal, dass sich mehrere milde Jahre mit mehreren kälteren abwechseln?

Perioden, in denen mehrere Winter hintereinander sehr mild waren, gab es tatsächlich schon früher, etwa in den 1920er und 1930er Jahren. Aber letztlich ist kein Winter wie der andere. Dass es so weitergeht wie jetzt, darauf würde ich mich nicht festlegen.

Januar-Wetter

Manchmal trügt die Wahrnehmung. Denn viel Sonne und die – im Interview erwähnten – milden Temperaturen haben das Januarwetter in Berlin bestimmt. Mit durchschnittlich 4,4 Grad lag die Hauptstadt deutlich über ihrem langjährigen Januar-Mittelwert von minus 0,5 Grad, wie aus einer am Donnerstag vom Deutschen Wetterdienst (DWD) veröffentlichten Auswertung hervorgeht. Fast 65 Stunden lang zeigte sich die Sonne – deutlich mehr als die 43 Stunden im Langzeitdurchschnitt. Die Brandenburger Nachbarn durften sich – bekannt als sonnenreichstes Bundesland – über knapp 70 Sonnenstunden freuen.

Und auch überdurchschnittlich viel Niederschlag bestimmte zudem das Wetter: Mit knapp 45 Litern je Quadratmeter lag Berlin drei Liter über dem vieljährigen Mittelwert. (taz, dpa)

Aber wird der Klimawandel hier schon sichtbar?

Wir haben in jedem Fall einen eindeutig zu beobachtenden Klimatrend: Seit dem Jahr 2000 verzeichnen wir markante Wärmerekorde. Die Frage ist, wie lange das anhält. Damit befassen sich andere Kollegen, die Klimaforschung betreiben. Aber vollkommene Gewissheit haben auch die letztendlich nicht.

Meteorologen liefern ja unter anderem Vorhersagen für Winterdienste. Sind milde Winter schlecht fürs Geschäft?

Also es passiert ja schon etwas. Auch in diesem Winter mussten die Winterdienste des Öfteren ausrücken, um Glätte in Form von gefrierender Nässe und Reif zu bekämpfen. Aber Schnee gab es bislang kaum zu räumen. Da machen sich manche unserer Kunden bei den Winterdiensten tatsächlich Sorgen, dass ihnen Verträge gekündigt werden oder sich das Geschäft dort, wo nach Einsatz bezahlt wird, nicht mehr lohnt. Denn Fixkosten fallen da ja auch an. Entgegen der landläufigen Meinung, dass Winterwetter sich ausschließlich durch Schnee definiert, ist in milderen Wetterabschnitten durch die sehr langen Nächte oft mit Gefrieren und Reif zu rechnen. Dies erfordert eine erhöhte Ruf- und Einsatzbereitschaft der Winterdienste. Wir verzeichnen daher verstärkt Nachfragen und einen höheren Beratungsbedarf bei unseren Kunden.

2018 ging als Dürrejahr in die Geschichte ein. Wie war 2019 im Rückblick?

Da war die Niederschlagsbilanz wieder ausgeglichen, wir sind fast auf Normalwerte gekommen. Im Berliner Raum fielen 90 bis 99 Prozent des langjährigen Mittels. Der Januar hat ebenfalls schon einiges an Niederschlag gebracht, allerdings leicht unterdurchschnittlich. Aber auch in den kommenden Tagen bringen atlantische Tiefdruckgebiete sehr feuchte Luft zu uns, und es fällt noch eine Menge Regen. In manchen Gegenden Deutschlands kann es sogar zu kleineren Überflutungen kommen.

Wie es sich über das Jahr hinweg noch entwickelt …

… das weiß keiner. Es gibt immer mal wieder Leute, die dazu Aussagen treffen, aber wir halten uns damit zurück. Es ist einfach nicht besonders seriös.

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