WETTERKUNDE: "Für Schnee ist es zu kalt"
Der Meterologe Uwe Ulbrich weiß Bescheid über sibirische Kälte, die gar nicht aus Sibirien kommt und warum sich Berlin frostiger anfühlt als München.
Ulbrich ist 53 Jahre alt. Er studierte Geophysik in Köln. Seit 2004 ist er Professor für Allgemeine Meteorologie an der Freien Universität Berlin.
taz: Herr Ulbrich, wir hatten den Winter schon abgeschrieben. Passend zum Schlussverkauf ist es doch noch richtig kalt geworden. Bleibt das so?
Uwe Ulbrich: In den nächsten Tagen wird es sogar noch etwas kälter. Für die kommende Woche gibt es noch keine verlässlichen Angaben. Schnee wird es erst mal nicht geben, dafür ist es zu kalt. Wenn wir irgendwann zwangsweise zum Frühjahr zurückkehren, kann es allerdings nochmals zu Schnee und Glatteis kommen.
Und wann können wir auf den Seen Schlittschuh laufen?
Ich will keine exakte Prognose angeben, wann die Seen zugefroren sind. Ich bin gerade gestern am Schlachtensee gewesen. Da ist ein Mädchen am Rand eingebrochen. Bei aller Vorsicht, ich bin darin kein Experte: Wenn es so kalt bleibt, kann man einige Seen am Wochenende betreten. Das hängt aber vom See ab. Wenn der einen Frischwasserzufluss hat, der warm ist, kann es länger dauern, bis er zufriert.
Wochenlang war es bewölkt und mild, plötzlich ist es sonnig und sehr kalt. Wieso eigentlich?
Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Kälteperioden kommt, auch wenn der Winter lange mild verlief, ist immer gegeben. Wir erwarten gegenwärtig aber nicht, dass es solange kalt bleibt, dass dieser Winter als kalter Winter in die Annalen eingehen wird.
Wie wirkt sich der Kälte-Einbruch auf die Vegetation aus?
Kaum. Die Vegetation war noch nicht so weit fortgeschritten, dass man mit größeren Schäden rechnen müsste. Bei Spätfrost im April oder Mai, wenn die Vegetation sich schon komplett auf Frühling eingestellt hat, ist das etwas anderes.
Manch ein bayerischer Tourist klagt, dass es hier in Berlin kälter ist als im auf 500 Höhenmeter gelegenen München, wie kommt das?
Wenn die Temperaturen an beiden Orten gleich sind, dann liegt das am Wind. Eine komplette Windstille wird nicht als so kalt empfunden wie wenn der Wind weht. Wir haben hier eine größere Chance auf bodennahe Kaltluft, die aus Nord- und Osteuropa kommen kann. München ist durch die schützenden Alpen und den Böhmischen Wald von Kaltluft am Boden weit weniger betroffen.
Es wird ja gerne auf die "sibirische Kälte" geschimpft. Kommt die kalte Luft denn tatsächlich aus 8.000 Kilometer Entfernung?
Wenn man von sibirischer Kaltluft spricht, dann bedeutet das meteorologisch, dass man die Kaltluftpakete bis nach Sibirien rückverfolgen kann. Es gibt wirklich Kaltluftbereiche, die von Sibirien nach Europa reichen. Oft kommen die Kaltluftpakete aber nur aus Osteuropa. Die Leute bezeichnen sie dann trotzdem als sibirisch, obwohl sie da gar nicht herkommen.
Interview:
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