: Wo aus der Masse Kunst wird
Zum 18. Mal wird der Brockmann-Preis für junge Kieler Kunst vergeben. Die Ausstellung der Prämierten gibt einen Überblick über die vielfältige Kunstszene der Stadt
Von Frank Keil
Erst mal hinsetzen. Schauen, wer noch Kunst betrachten will. Zwei Bushaltestellen stehen im Foyer der Kieler Stadtgalerie, aufgestellt von Maximilian Balser, nominiert für den aktuellen Brockmann-Preis für junge Kieler Kunst. Bewusst hat Balser einen schnörkellosen Bushaltestellen-Typ aus dem Kieler Umland zum Vorbild genommen. „Die ländliche Bushaltestelle ist ein Ort, wo man viel Zeit verbringt und Zeit gestaltet; es ist dort die einzige Möglichkeit zu warten“, sagt er.
Werke von 14 Nominierten sind diesmal zu sehen, denn Sinn und Zweck des Brockmann-Preises ist es nicht nur, eine Spitzenleistung zu prämieren, sondern auch einen Überblick über den Stand der tatsächlich vielschichtigen Kieler Kunstszene zu geben. Benannt nach dem ehemaligen Maler, Professor und langjährigen Kulturreferenten Gottfried Brockmann (1903–1983), gedacht für KünstlerInnen bis zum 35. Lebensjahr, ist er mit 5.000 Euro dotiert.
Die Spannbreite des Gezeigten ist erheblich: Installationen treffen auf klassische Einzelgemälde; die filigrane Zeichnung ist ebenso vertreten wie die bestuhlte Filmbox. Es geht von verrätselten bis zu sehr handfesten Arbeiten.
Für letztere Ausrichtung steht exemplarisch das Projekt „To my Mom“ von Jisu Jeong. Wir stehen vor gerahmten Briefen, lesen: „Es tut mir leid, dass ich so eine schlechte Tochter bin.“ Oder: „Ich versuche, nicht an dich zu denken.“ Auf die Idee zu ihrer Arbeit kam sie, als sie in ihrem Tagebuch einen Brief an ihre Mutter schrieb. „Ich schrieb sehr ehrlich und das war sehr hilfreich, mich selbst kennenzulernen und meine Traumata zu heilen“, sagt sie. So gestärkt bat sie andere Töchter, Briefe an deren jeweilige Mutter zu schreiben, die das Material für ihre Arbeit wurden.
Einige Rahmen sind leer gehalten. Im Gegenzug stehen ein kleiner Tisch mit Stuhl sowie Papier und Stifte bereit. Wer will, kann hier geschützt wie unterstützt durch bereits niedergeschriebene Bekenntnisse seinen eigenen Brief schreiben. Jisu Jeong sagt: „Mich hat sehr erstaunt, dass sich auch Männer für dieses Werk interessieren.“
Um das Moment, wie das Phänomen des Verschwindens, kreist die zweiteilige Arbeit von Dennis Paulsen: Monochrome Leinwände hat er zunächst grundiert, dann mit Leinöl und Kohlestaub eingefärbt, um anschließend den Kohlestaub wieder händisch auszuschwemmen. Was ist verschwunden? Was ist noch da?
Den Leinwänden gegenüber zeigt sich eine lange Reihung von akkurat aufgestellten Packungen Papiertaschentücher: Jede von ihnen ziert die gleiche, leicht verschwommene Horizontlinie. Entnommen hat Paulsen sie einem der vermutlich letzten Fotos, die der niederländische Performance-Künstler Bas Jan Ader hinterlassen hat, kurz bevor er sich im Sommer 1975 mit einem extrem kleinen Segelboot aufmachte den Atlantik zu überqueren – als performative Kunstaktion. Von der kehrte er nicht zurück, blieb verschollen, was so traurig ist wie sein dreieinhalbminütiger Film „I’m too sad to tell you“, der ihn zeigt, wie er weint.
Wieder konzentriert auf allein ein Genre ist schließlich die Arbeit der Keramikkünstlerin Lena Kaapke, die nach China gereist ist, nach Jingdezhen, in die Porzellanfabrik Guangming. Hier werden pro Tag 17.000 sogenannte Rice-Pattern-Schalen gefertigt. 97 Sekunden dauert es, bis eine Schale bereit ist für den Brennofen. 17 KeramikerInnen werden dafür nacheinander tätig.
Kaapke hat das ihre dazu getan, diese Arbeiten zu würdigen: Für jede/n der KeramikerInnen hat sie eine eigene Schale hergestellt. Dazu gibt es ein Künstlerposter, das die chinesischen KünstlerInnen zeigt, mit Nennung des Namens, des Alters, der genauen Tätigkeit und die Zahl, an wie vielen Schalen sie schon beteiligt waren: von 84.499 bis 16.900.000. Und ganz nebenbei ist aus der Begegnung mit einer scheinbaren Massenproduktion so Kunst geworden.
Ausstellung „Gottfried Brockmann Preis 2019“:
bis 16. 2., Kiel, Stadtgalerie
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