Berliner Performance-Kollektiv: „Wir Queers leben nicht isoliert“
Die Gruppe Queerdos will gesellschaftliche Verhältnisse transformieren. Die Regisseur*in Catalin Jugravu im Gespräch über Gewalt und Katharsis.
taz: Wer sind denn die Queerdos eigentlich, Catalin Jugravu?
Catalin Jugravu: Zurzeit sind wir zwölf Leute: sechs Performer*innen und sechs Leute backstage: Bühnen- und Kostüm-Designer*innen, Video- und Sound-Designer*innen, Techniker*innen. Wir haben uns im April 2018 gegründet, um einen Rahmen zu bauen, in dem wir gute Performance-Kunst kuratieren können. Damit Queers zusammenkommen und unsere Bühne nutzen. Nach 45 Perfomances haben wir dann aber beschlossen, dass wir eine festere Struktur wollten: mit einem Ensemble, um gemeinsam an seinen Fertigkeiten zu arbeiten.
Und was sind Ihre Ziele mit diesem Queerdos-Ensemble?
Wir arbeiten an einem Ort, an dem wir unser Publikum stimulieren können – damit sie letztlich die Gesellschaft transformieren, in der wir leben. All das kann in revolutionärer Aktion münden.
Wendet Sie sich mit Ihren Performances eher an ein queeres oder an ein allgemeines Publikum?
An beides. Ich glaube nicht, dass man sich da entscheiden müsste. Wir glauben an die Kraft der Gemeinschaft. Und an Gemeinschaft jenseits von sexueller Orientierung oder Identität. Damit erreichen wir ziemlich verschiedene Leute.
„Queerdos Violence“:1. 2., 20 Uhr, Tickets 0–12 €
„Queerdos Manifesto“: Premiere am 14. 2. & 15. 2.
Theater Verlängertes Wohnzimmer, Frankfurter Allee 9, Tickets 0–12 € www.facebook.com/pg/queerberlin, www.theater-verlaengertes-wohnzimmer.de
Die Queerdos-Performances heißen nicht einfach Aufführungen oder Vorstellungen, sondern Repräsentationen. Das spielt wohl darauf an, dass Queers dort repräsentiert werden, richtig?
Absolut, ja.
Welche queere Themen finden Sie denn zurzeit besonders dringlich?
Zurzeit arbeiten wir an einer laufenden Performance namens „Queerdos Violence“. Gewalt auf den Straßen nimmt zu. Das ist, denke ich, kein Zufall, sondern hängt zusammen mit dem sozialen Klima, das uns auf eine neue Weise unter Druck setzt. Außerdem arbeiten wir noch an einer neuen Performance namens „Manifesto“. Es wird darum gehen, wie eine queere Identität aufgebaut werden kann.
Was sind denn Strategien, Queers sichtbarer zu machen? Sind nicht zurzeit viele Queers schon sichtbar?
Manchmal sieht es so aus, dass Queerness Mainstream wird. Aber wir bieten keine Mainstream-Form von Theater an. Unsere Performances sind nicht kommerziell. Wir arbeiten mit dem gesprochenen Wort und persönlich erlebten Geschichten. Unsere Arbeit lebt von Sensibilität. Und Empathie mit dem Publikum. Wir suchen immer den roten Faden, der uns verbindet.
In „Queerdos Violence“ geht es Ihnen auch um strukturelle Gewalt. Das klingt erst mal abstrakt.
In den Performances wird sehr klar, dass strukturelle Gewalt nicht einfach ein abstraktes Konzept ist: Es wird in den persönlichen Geschichten sehr konkret. Eine Person of Color zum Beispiel, die in Berlin mit der Ausländerbehörde zu schaffen hat. Auch Sprachbarrieren beeinflussen in Deutschland sehr die Art, wie dich jemand anguckt oder mit dir umgeht. Oder lass uns übers Hartz-IV-System sprechen: So viele Queers haben mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Das löst zusätzlich psychischen Stress aus.
aka Cher Nobyl ist eine queere Performance-Künstler*in und Theatermacher*in. 1991 in Drobeta Turnu Severin in Rumänien geboren, lebt und arbeitet sie heute in Berlin.
Das ist aber nicht an sich spezifisch queer.
Queer macht es die Person, die bei uns damit auf die Bühne tritt. Die Mitglieder unseres Kollektivs sprechen aus ihrer eigenen Perspektive heraus, die eine queere ist.
Die Performer*innen leiden also unter mehreren Formen der Diskriminierung, die sich gegenseitig verstärken.
Korrekt, das multipliziert sich. Da sind Themen dabei, die nicht nur LGBTQI betreffen. Es geht auch um den Druck insgesamt in einer Gesellschaft heutzutage. Es ist wichtig zu verstehen: Wir Queers leben nicht isoliert. Wir existieren in Beziehung zur Gesellschaft. Wir stehen zu ihr in einer Wechselbeziehung.
Online statt Print: Weil die Kulturbeilage taz plan in der gedruckten Ausgabe wegen des Corona-Shutdowns gerade pausiert, erscheint hier nun jeden Donnerstag ein Text vom „taz plan im exil“. Zuletzt: 2. 4. Stephanie Grimm/Musik: „Jeder Tag ist wie Sonntag“ & 9.4. Esther Slevogt/Theater: „Der Bildschirm als Bühne“
Apropos Wechselwirkung: Welche Reaktionen bekommen Sie vom Publikum?
Leute kommen nach den Performances zu uns, um uns zu sagen, wie sehr sie sich mit dem identifizieren konnten, was Performer*in XY erzählt hat. Das ist auch wichtig, sich bewusst zu machen: In gewisser Hinsicht gleichen sich unsere Storys. Das verbindet uns.
Judith Butler sagt ja, dass schon Gender an sich Performance ist. Ist Performance denn an sich schon eine besondere queere Kunstform?
Ja! Ja! In vielerlei Hinsicht. Wenn wir über Butler und Gender-Performen sprechen. Andererseits: nein. Ich komme aus dem Theater, als Regisseur*in und Schauspieler*in. Mit dieser Herkunft würde ich sagen: nicht notwendigerweise.
Édouard Louis hat kürzlich in der „New York Times“ beschrieben, dass Schauspiel vielen Queers sehr vertraut sei – weil sie es gewohnt sind, etwas spielen, vortäuschen zu müssen.
Ja, es gibt diese Idee vom Doppelleben vieler LGBTQI. Ich würde dem zustimmen. Aber unser Ziel mit Queerdos ist ja gerade, einen Ort zu schaffen, der uns ermutigt, uns selbst anzunehmen – und gerade kein Doppelleben zu führen. Deshalb verwenden wir persönliche Geschichten. Unsere Performances sind authentisch in diesem Moment. Und kathartisch. Uns interessiert die Frage: Was passiert mit den Performenden auf der Bühne, während sie ihr Erlebtes offenbaren?
Was könnte denn dann passieren?
Viele, viele Dinge. Das sind ausgesprochen intensive Zustände. Wenn man zum Beispiel eine gewalthaltige Geschichte aus der eigenen Kindheit erzählt. Und was passiert dann mit dem Publikum? Wer schon mal bei uns war, weiß von den kathartischen Momenten am Ende jeder Show.
Wie verhindern Sie bei einem Thema wie Gewalt, dass die Performenden bloß als Opfer reagieren?
Da hilft es sehr, dass wir während der Proben diskutieren. Wir sind da sehr geradeheraus miteinander. Und wir machen uns viele Gedanken, wie wir uns davon ablösen können, von dieser oft gebrauchten und auch falsch gebrauchten Idee, dass wir als Queers vor allem Opfer seien. Uns ist das Empowerment wichtig: Durch das, was wir zeigen, ermutigen wir unser Publikum dazu, anders zu denken – aus den „Opfer-Schuhen“ sozusagen rauszuschlüpfen.
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