Anwältin über die Colonia Dignidad: „Zeugen wurden nicht gehört“
In der Colonia Dignidad beging eine deutsche Sekte in Chile grauenhafte Verbrechen. Petra Schlagenhauf versucht neue Ermittlungen zu erreichen.
Die fehlende strafrechtliche Aufarbeitung von Folter, Mord und sexualisierter Gewalt in der Colonia Dignidad in Chile gilt als einer der größten Justizskandale in Deutschland. Mehrere Ermittlungsverfahren wegen den seit den 1960er Jahren in der deutschen Sekte begangenen Verbrechen wurden allesamt eingestellt; so auch das gegen den ehemaligen Arzt und Leiter des Krankenhauses der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp. Die Anwältin der Opfer, Petra Schlagenhauf, legte Beschwerde ein. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf muss entscheiden, ob diese Ermittlungen wieder aufgenommen werden.
taz: Frau Schlagenhauf, um welche Vorwürfe geht es in der Anzeige, die Sie 2011 gegen Hartmut Hopp und weitere ehemalige Führungsmitglieder der Colonia Dignidad gestellt haben?
Petra Schlagenhauf: Im ersten Komplex der Anzeige geht es um ermordete politische Gegner der Diktatur. Die Colonia Dignidad war eine Art Außenstelle der chilenischen Geheimpolizei DINA im Süden Chiles. Es ist historisch inzwischen unstrittig und belegt, auch in entsprechenden Menschenrechtsberichten in Chile, dass auf dem Gelände der Colonia Dignidad zwischen 50 und 100 Personen aus politischen Gründen umgebracht wurden, also ein Mordtatbestand vorliegt.
Da Mord nach deutschem Recht nicht verjährt und zu vermuten steht, dass das in Absprache und in Zusammenwirken mit Deutschen aus der Colonia Dignidad stattgefunden hat, wäre das ein heftiger Anlass, sich damit zu beschäftigen.
Welche Rolle hat Hartmut Hopp dabei gespielt?
Die Zusammenarbeit lief über die obersten Spitzen. Auf der Seite der DINA gehörten dazu deren Chef Manuel Contreras und sein Stellvertreter Pedro Espinoza. Auf der Seite der Colonia Dignidad waren das deren Gründe Paul Schäfer und andere aus der Führungsriege, in erster Linie Hartmut Hopp.
Ein ehemaliger DINA-Mitarbeiter sagte mir, dass Hopp regelmäßig am Hauptsitz der DINA in Santiago war und mit einer Zugangskarte höchster Priorität direkt ins Büro von Manuel Contreras laufen konnte. Die Staatsanwaltschaft hätte weitere Zeugen vernehmen müssen, die ich auch benannt habe. So weit ist man nicht gegangen.
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft konnte nicht geklärt werden, „wann genau, wo und durch welche Personen die mutmaßlichen Tötungshandlungen begangen“ wurden.
Auch ich gehe davon aus, dass Hopp niemand persönlich erschossen hat. Aber man hätte sich die Mühe machen müssen, dieses Geflecht zwischen dem chilenischen Geheimdienst und der Führung der Colonia Dignidad aufzudröseln.
Wenn man aber gar nicht anfängt, die ersten Steine des Puzzles zusammenzusetzen und in Chile vorhandene Kenntnisse auszuwerten, sondern von vornherein sagt: „Der Berg ist mir zu groß“, dann ist das zu wenig. Man hat sich damit aus meiner Sicht überhaupt keine Mühe gegeben. Das halte ich für skandalös: Das ist kein Hühnerdiebstahl, sondern ist ein historisch bedeutsames Ereignis, und zwar ein grauenvolles.
64, ist Anwältin für Migrationsrecht, Familienrecht und Strafrecht. Mit der Colonia Dignidad befasst sie sich beruflich seit 2011.
Was werfen Sie Hopp in Ihrer Anzeige darüber hinaus vor?
Im zweiten Komplex geht es um gefährliche Körperverletzung durch medizinisch nicht gerechtfertigte Vergabe von Psychopharmaka. In der Colonia Dignidad wurden Sektenangehörige flächendeckend durch Medikamentengabe misshandelt. Die waren nicht psychisch krank, sondern wurden dadurch unterdrückt.
Hartmut Hopp war seit Ende der 1970er Jahre Leiter des Krankenhauses der Sekte und hatte somit die Bestellung von Medikamenten zu verantworten. Auch dazu halte ich die Ermittlungen für absolut mangelhaft. Die Staatsanwaltschaft hat Zeugen, die ich benannt hatte, nicht gehört und nicht angemessen versucht aufzuklären.
Inwiefern spielt auch die Verabreichung von Psychopharmaka an chilenische Kinder eine Rolle?
Im dritten Komplex der Anzeige werfen wir Hopp Beihilfe zu sexuellem Missbrauch vor. Chilenische junge Männer, die in den 1990er Jahren als Kinder von dem Sektenchef Schäfer missbraucht wurden, belasten Hopp sehr konkret: Er habe sie mit Psychopharmaka ruhiggestellt und so für Schäfers Missbrauch gefügig gemacht.
Die Staatsanwaltschaft Krefeld bezweifelt die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen. Die chilenischen Männer hätten Hopp in früheren Vernehmungen nicht belastet. Es fehle an „Aussagekonstanz“. Was sagen Sie dazu?
Die ersten Aussagen aus dem chilenischen Verfahren stammen aus dem Jahr 1996/1997. Damals waren diese Chilenen noch Kinder. Ihre Familien waren Repressalien von Seiten der Colonia Dignidad ausgesetzt. Der Fokus dieser ersten Ermittlungen lag damals auf Schäfer; zur Rolle Hopps wurden die Betroffenen nicht befragt.
Die nächsten Aussagen gab es erst wieder 2018, also 22 Jahre später. Aus sämtlichen Missbrauchsverfahren, die ich jemals als Anwältin und Nebenklagevertreterin geführt habe, weiß ich, dass den Betroffenen bestimmte Dinge erst im Laufe der Zeit klar werden und sie sich trauen, diese zu äußern.
Wie sind Ihre Bewertung und Ihr Ausblick in die Zukunft?
Hier wurde früh das Handtuch geworfen mit dem Ansatz: „Wir wissen nicht, ob was dabei rauskommt.“ Wenn man nicht richtig und vollständig ermittelt, wird man nie wissen, ob etwas herauskommt! Dabei gibt es in Deutschland weitere Führungsmitglieder der Colonia Dignidad, die bis heute nicht belangt wurden.
Sollte die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf die Wiederaufnahme der Ermittlungen beschließen, würde ich alles dafür tun, das, was von Opferseite beigebracht werden kann, beizubringen und weiter zu unterstützen.
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